Eine Stimme und ein Klavier voller Rosen

Herbert Büttiker, Der Landbote (08.09.2007)

Il Barbiere di Siviglia, 06.09.2007, Winterthur

Ganz bekannt, ganz unbekannt ist die Oper, die die Saison im Theater Winterthur eröffnet. Das Opernhaus Zürich präsentiert hier mit dem Orchester des Musikkollegiums «Il Barbiere di Siviglia» – nicht von Rossini, sondern von Paisiello.

Wer kennt ihn nicht, Figaro, den Virtuosen der Geheimpläne, die allesamt zum Ziel führen, weil sie nicht funktionieren. Im ersten Akt soll Almaviva mit Hilfe eines Quartierbefehls als Soldat zu seiner im Hause Bartolo tyrannisch bewachten Herzensdame vordringen. Auf der Winterthurer Bühne kleidet er sich dazu in einen roten (!) Tarnanzug. Als politische Anspielung ist das nicht gemeint, denn Cesare Lievi (Inszenierung), Csaba Antal (Bühnenbild) und Mariana Luxardo (Kostüme) lassen einfach ihre ziemlich bunte Fantasie spielen. Diese ist manchmal ein wenig zu bunt, respektive ein wenig platt, aber für die schönsten Momente des Abends gibt es einen zweiten Geheimplan: Almaviva kommt als Stellvertreter für den kurzerhand als krank erklärten Don Basilio, Rosinas Gesangslehrer. Auch er hat einen Geheimplan-Tick: Er preist «la calunnia», die Verleumdung, die «piano, piano» in die Welt gesetzt wird und sich auswächst zum «tumulto universale» als seine Geheimwaffe.

Aber nun sitzt, wie gesagt, nicht er am Klavier, sondern Almaviva, alias Alonso. Der Flügel ist jetzt ein Rosenbeet, und auch Rosina ist in ihrem schönen Kostüm eine Blüte, wenn sie die Gesangspositur einnimmt. Singen und Flirten sind eins, und es will und soll nicht enden. Auf dem Sofa kämpft Bartolo derweil mit dem Schlaf. Paolo Rumetz macht daraus ein schauspielerisches Kabinettstück, und damit hat die Liebesanmut ihren Kontrapunkt, die Szenerie den ganzen Komödienzauber – im Einklang mit der Musik. Denn Rebeca Olvera lässt kokett und graziös ihren Sopran blühen. Und auch im Orchester lassen es die konzertierenden Bläser prächtig blühen.

Dann tritt Basilio auf – Giuseppe Scorsin gibt dem ungebetenen Gast köstlich die steife Statur – und nunwird es so richtig turbulent. Figaro und Almaviva haben zu tun, um ihn loszu- werden. Ruben Drole tut es mit frischem Bariton mit viel Schalk, Javier Camarena, dessen Gesicht nach viel Maskerade im ersten Akt jetzt lebendig wird, mit feinem Tenor. In einem Quintett sind ausser den Dienern, die ihre Nies und Gähnkunst schon bewiesen haben, alle vereint: ein junges, musikalisch und schauspielerisch vifes Ensemble, das das Buffa-Parlando sprudeln lässt und die lyrischen Kostbarkeiten zur Geltung bringt.

Auf die Musik war man ja überhaupt gespannt. Giovanni Paisiello (1740–1816), der um die hundert Opern schrieb und zu den erfolgreichsten Komponisten seiner Zeit gehörte, machte sich als Erster daran, die französische Skandalkomödie von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais zu vertonen. Sein Werk kam 1782 am Ermitage-Theater in St. Petersburg zur Uraufführung und entzückte das Publikum. In Wien wurde sie bereits ein Jahr später gespielt, und sie blieb auf den Theatern präsent, bis sie von Rossinis 1816 uraufgeführter Oper abgelöst wurde.

Oder weggefegt. Denn dass Rossini andere Saiten aufzog, ist unverkennbar. Die Brillanz des «Largo Factotum», die Explosion der «Calunnia», die Turbulenz der Crescendo-Finali und der musikalische Witz überhaupt – all das ist bei Paisiello allenfalls vorgeprägt oder, wenn man so will, noch im pastelltönigen Rokoko eingebunden. Damit ist aber auch die eigenständige Qualität angedeutet: eine Anmut, die in Rosinas virtuoser Arie in der Gesangsszene einen Höhepunkt hat, aber auch in ihrer zarten, von Klarinetten und Fagotten unterlegten Kavatine bezaubert, die den ersten Akt beschliesst. Accompagnato und Liebesduett zu Beginn des Finales bestätigen das nur, und sie machen auch klar, dass die Primadonna das Zentralgestirn des Stücks ist.

Selbst Figaro erscheint da nur als Trabant. Auch ist bei ihm nichts von jenem «Platz da!», mit dem ihn Rossini einführt. Dafür hat er anstatt einer bloss extrovertierten Präsenz hier noch ein Schicksal: als Geschasster (weil der Minister dahinterkam, dass er schriftstellert!), als einer, der durch die Welt hetzt (seine «Register-Arie») und als einer, der stets guter Laune ist, «um nicht weinen zu müssen».

Diese Aspekte kommen direkt aus Beaumarchais’ Komödie, der Paisiello näher steht als Rossini. Die Inszenierung scheint dagegen umgekehrt eher von Rossinis Typen ausgegangen zu sein, um aus dem Abend ein Rossinisches Feuerwerk zu machen. Zur bunten und wirbeligen Opera buffa wird die Aufführung denn auch nach und nach und mit zunehmender Stimmigkeit tatsächlich. Im zweiten Akt entwickelt selbst das Bühnenbild eine überraschende Lebendigkeit. Der Dirigent Zsolt Hamar sorgt für Drive und starke dynamische Kontraste, das Orchester spielt mit Feinschliff und erhält mit der Gewittermusik die Gelegenheit, sich temperamentvoll in Szene zu setzen.

Ungezügeltes Temperament zeigt Rosina zum Schluss, wenn sie dem eben angetrauten Almaviva an die Wäsche geht: Auch da sucht die Regie nicht die anmutigste Form des Komödienspiels, aber kurzweilig ist es natürlich auch, wenn einer Aufführung die Harmonie von Grün und Violett so vergnüglich gelingt.