Wie man ein mutiges Stück zur biederen Komödie macht

Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (08.09.2007)

Il Barbiere di Siviglia, 06.09.2007, Winterthur

Das Zürcher Opernhaus zeigt in Winterthur den «Barbiere di Siviglia» - für einmal nicht von Rossini, sondern von Paisiello.

Jeder kennt Rossinis Figaro, den vergnügten, schlauen, in allen Lebenslagen gefragten Barbier («Figaro qua, Figaro là»). Vergessen ist dagegen, nach anfänglichen Grosserfolgen, der bereits 1782 in die Opernwelt entlassene Figaro von Giovanni Paisiello: Barbier ist auch er, nach derselben Beaumarchais-Vorlage, aber sein Herz schlägt eher für die Musik als fürs Barthaar. Er ist zwar kein besonders erfolgreicher Komponist, wie seine Einstandsarie zeigt; seine Oper ist jedenfalls in Madrid durchgefallen. Aber er kennt doch die Tonfälle und ihre Wirkung sehr genau: In weit ausschweifenden Melodien und forschen Rhythmen besingt er sein Leben als frei herumziehender Musiker; wenns dagegen ums Rasieren der hohen Herren geht, zwängt er seine Stimme in den Takt des höfischen Menuetts, der ihm hörbar zu eng ist.

Man kann die Arie sozialkritisch deuten, wie es die Musikwissenschaftlerin Silke Leopold im Programmheft zur traditionellen Winterthurer Saisoneröffnung des Zürcher Opernhauses tut. Oder man kann eine scherzhafte Show daraus machen: Dafür hat sich Regisseur Cesare Lievi entschieden.

Clownnase für den Grafen

Gleich zu Beginn lässt er seinen Figaro einen Flügel auf die Bühne schieben, der sich im Verlauf des Abends als Wundertüte entpuppt, aus der je nach Bedarf Briefe und Noten, Rosen und Handtücher, Frisierzeug und ein Stoffpandabär quellen. Auch sonst ist der Materialaufwand beträchtlich. Hin und her werden Csaba Antals rosenbesetzte Wände geschoben, Videos werden eingeblendet, Türen herbeigezaubert, und Marina Luxardo hat sich für ihre Fantasiekostüme ebenfalls einiges einfallen lassen. Der Graf, der sich im Stück als Student verkleidet, darf sich hier auch noch eine Clownnase aufsetzen.

Bunt sieht das aus, und furchtbar brav. Aus einem einst mutigen Stück wird eine biedere Komödie, der musikalische Witz wird - nicht nur im eigentlich grandiosen Trio mit den gähnenden und niesenden Dienern - konsequent platt gewalzt. Da zeigt sich, wie lang Wiederholungen dauern können, wenn nichts in ihnen geschieht.

Es liegt auch an der musikalischen Gestaltung. Das Orchester Musikkollegium Winterthur unter Zsolt Hamar spielt nuancenreich, finessenbewusst (was Paisiellos Partitur durchaus verdient); aber es fehlt der Saft, das Physische, Ungestüme, das diese Musik auch hätte. Mag sein, dass dabei Rücksicht auf die Sängerinnen und Sänger im Spiel ist: Vor allem die beiden Liebenden, die jungen Zürcher Ensemble-Mitglieder Javier Camarena als Graf Almaviva und Rebeca Olvera als Rosina, haben schön geführte, aber doch etwas gar leichte Stimmen.

Dafür darf Paolo Rumetz als Bartolo herzhaft poltern und granteln; in seinem Lieblingslied, das über eine einzige melodische Wendung kaum hinauskommt, funktioniert der musikalische Gag für einmal.

Und dann ist da vor allem der Winterthurer Ruben Drole als Figaro, der das Stadium des Nachwuchstalents definitiv hinter sich gelassen hat und die Wirkung der verschiedenen Tonfälle ebenso gut kennt wie seine Figur. Sein Barbier hat Charme und Schalk, eine starke Stimme und Lust am Spiel. All das, was es für eine wirkliche Neubelebung dieser Paisiello-Oper brauchen würde.