Der Vorläufer des «Barbiers» vermag nur teilweise zu fesseln

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (08.09.2007)

Il Barbiere di Siviglia, 06.09.2007, Winterthur

Bis Rossinis «Barbiere di Siviglia» war eine andere Oper über Beaumarchais' Komödie ein absoluter Hit: Giovanni Paisiello komponierte sie 1782, und das Opernhaus Zürich brachte sie am Donnerstag in Winterthur auf die Bühne.

Über 100 Opern schrieb der in Süditalien geborene, in Neapel ausgebildete Komponist Giovanni Paisiello. Die glänzendsten Höfe luden ihn ein, die mächtigsten Herrscher wetteiferten um seine Kunst. Acht Jahre wirkte er am Zarenhof Katharinas in St. Petersburg, wo auch sein «Barbiere» uraufgeführt wurde.

Später feierte er in Wien Erfolge, wo auch Mozart seine Musik hörte und hoch schätzte, ging zurück nach Neapel und schliesslich als Napoleons Favorit nach Paris. Sein «Barbiere» wurde in fast allen europäischen Hauptstädten und Kultursprachen gegeben. Bis zu jenem fatalen Jahr 1816, als Rossinis virtuose Oper ihrerseits zum Siegeszug ansetzte und Paisiellos Werk schnell verdrängte.

Im Stil des 18. Jahrhunderts

Der Vergleich mit Rossini ist natürlich unfair, zu verschieden waren die musikalischen Sprachen der beiden Epochen. Aber auch dem Zeitgenossen Mozart gegenüber macht Paisiellos Oper sehr schnell nurmehr eine mittelmässige Figur: Bei allem Charme der Handvoll wirklich schönen Arien - das Stück ist Konvention, bleibt musikalisch weitestgehend harmlos und hat seine Längen, welche auch die Winterthurer Produktion nicht kaschieren konnte.

Das lag weder am Orchester noch am Dirigenten: Das Winterthurer Musikkollegium zeigte sich als bewegliches Ensemble, das durchaus die Stilmittel des 18. Jahrhunderts in Farbgebung, Phrasierung und Akzentuierung beherrscht, und der Ungar Zolt Hamar führte es zuverlässig mit gutem Kontakt zur Bühne, musikalisch beweglich und stilsicher, bloss mitunter einen Zacken zu brav. Kontraste dürfte er in einem über weite Strecken dem damals herrschenden empfindsamen Stil verpflichteten Werk durchaus schärfer hervormodellieren, auch die Tempi wären in ihren Relationen etwas unterschiedlicher denkbar gewesen.

Gesangsverstärkung aus Mexiko

Traditionsgemäss beginnt das Opernhaus Zürich seine Opernsaison in Winterthur mit dem Orchester des Musikkollegiums. Und das keineswegs als Verlegenheitslösung, sondern mit einer vollgültigen Produktion. Ohne Gesangs-Stars zwar, dafür oft mit vielen jungen Mitgliedern des Ensembles.

Auch diesmal brillierten sie - etwa der in Winterthur aufgewachsene Ruben Drole mit seinem kernigen, aber immer beweglichen Bariton als Figaro, der viel versprechende Mexikaner Javier Camarena als Lindoro mit schönem, rundem, im Volumen noch etwas ausbaufähigen Tenor oder die ebenfalls aus Mexiko stammende Rebeca Olvera als Rosina, die ihre quirlige Erscheinung ruhig auch im Gesang noch etwas stärker ausleben dürfte. Bewährte Komödianten ergänzten das Ensemble: Paolo Rumetz virtuos als argwöhnischer Bartolo und Giuseppe Scorsin als aufsässiger Basilio.

Ideenmangel als grosses Minus

Mit Cesare Lievi als Regisseur unterstrich das Opernhaus das Gewicht der Produktion, und der Italiener lieferte auch eine wirklich gelungene Kostprobe hoher Regiekunst ab. Allerdings nur in einer Szene: der wunderschönen Gesangsstunde mit dem verkleideten Lindoro als Lehrer, der verliebten Rosina und dem argwöhnischen, aber dummerweise furchtbar schläfrigen Bartolo.

Für den Rest des Abends waren Lievi mit zwei, drei Ausnahmen, etwa einer lustigen Dia-Show von Figaros Reisen, die Ideen ausgegangen. Ähnlich die Bühnenbilder: Csaba Antal spielte mit Hunderten von Rosen als starke Chiffre für das glühende junge Liebesglück.

Ansonsten blieb die Inszenierung eher beliebig mit den letztlich nichts sagenden Video-Einspielungen. Die Kostüme von Marina Luxardo immerhin waren durchs Band so witzig, wie sie das für einen «Barbiere» - egal, aus welcher Feder - sein sollten.