Expressiver «Idomeneo»

Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (14.09.2007)

Idomeneo, Rè di Creta, 09.09.2007, Luzern

Zeitreisen in den Orient, nach Kreta und ins schottische Hochland.
Saisonbeginn an den Opernbühnen von Basel, Luzern und St. Gallen.

Der September ist an den Schweizer Bühnen die Zeit der Saisoneröffnung. Die jüngsten Opernpremieren in Basel, Luzern und St. Gallen haben mehr als blosse Momentaufnahmen vermittelt.

Von den Eröffnungspremieren erwartet man, dass sie ein Signal setzen, sei es mit einem ungewöhnlichen Werk, sei es mit einem Zugstück, welches das Haus schon zu Saisonbeginn füllt. Für letzteres Konzept haben sich diesmal die Theaterleiter in Basel und St. Gallen entschieden, in Luzern steht zwar eine Mozart-Oper auf dem Programm, doch eine der weniger bekannten. Gross ist die Spannweite der Aufführungsstile.

Expressiver «Idomeneo»
Das ist eine Lesart von Mozarts Singspiel, die in ihrer Vielschichtigkeit und Präzision unmittelbar packt, die aber auch viel zu tun hat mit Mozart selbst, der sich mit der «Entführung aus dem Serail» von Salzburg und von seinem Vater löste, ähnlich wie er zuvor in «Idomeneo» den Vater-Sohn-Konflikt thematisiert hatte. Es ist eine glückliche Koinzidenz, dass auch jenes frühe Werk derzeit auf einer Schweizer Bühne gespielt wird, nämlich im Luzerner Theater.

Hier steuert der seit 2004 amtierende Theaterdirektor Dominique Mentha einen Kurs, der szenische Innovation auf das Potenzial eines kleinen Hauses mit festem Ensemble abzustimmen sucht. Offensichtlich kommt er damit bei seinem Publikum an. Der Beifall bei der Premiere von Mozarts «Idomeneo» war anhaltend und heftig. Dabei gibt sich Werner Hutterlis Bühne betont karg: ein geschlossener Kasten, den die Darstellerinnen und Darsteller nur kriechend durch Schlitze über dem Boden erreichen oder verlassen können, in den Wänden ein schmaler offener Streifen, in dem die mit Augenbinden bedeckten Gesichter der Chorsänger erscheinen, der Boden bedeckt mit Sand, welcher nicht bloss auf den Schauplatz von Mozarts Oper anspielt, die Insel Kreta, sondern ebenso auf die schwankende seelische Befindlichkeit der Figuren: Der König Idomeneo hat dem Meeresgott Neptun für seine Rettung aus Seenot ein Menschenopfer gelobt und sollte dieses an seinem eigenen Sohn Idamante vollziehen, Idamante steht zwischen seiner Geliebten, der Prinzessin Ilia aus dem besiegten Troja, und der ihn liebenden machthungrigen Griechin Elettra. Eine göttliche Stimme führt schliesslich das «lieto fine» herbei, das hier sehr wörtlich verstanden wird.

Das Wühlen und Warten im Sand nutzt sich als szenischer Effekt bald ab, doch zum Sandkastenspiel gerät die Opera seria trotzdem nicht, dafür sorgt Olivier Tambosis intensive und vom jungen Luzerner Ensemble ausdrucksstark umgesetzte Personenregie, welche auf alles dekorative Beiwerk – auch das Meeresungeheuer – verzichtet. An Grenzen geraten die von Ingrid Erb in abgetragene, ausgewaschene Barockkostüme gekleideten Darstellerinnen und Darsteller allerdings sängerisch. Mit der Reinheit und schlanken Stimmführung, die der Mozart-Gesang erfordert, tun sich alle schwer. Vor allem bei Christiane Boesiger (Elettra) und Caroline Vitale (Idamante) führt die forcierte Expressivität zu hässlichen klanglichen Verfärbungen. Auch Jason Kim (Idomeneo) wirkt am eindrücklichsten in jener Szene, wo er zur Opferung des Sohnes bereit ist und ganz leise wird. In der Partie der Ilia kann sich Simone Stocks lyrischer Sopran natürlich entfalten. Konzentriert wie die szenische Wiedergabe wirkt das Musizieren des Orchesters, das flexibel auf die oft etwas sprunghafte Tempogestaltung seines Chefdirigenten John Axelrod reagiert. Doch der Klang kommt in diesem Haus nie zum Blühen, und die Solistenstimmen verschmelzen kaum mit dem Orchester. Begreiflich, dass Dominique Mentha grosse Hoffnungen in das Projekt «Salle Modulable» setzt und dieses aktiv begleitet.