Konventionelle «Lucia di Lammermoor»

Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (14.09.2007)

Lucia di Lammermoor, 07.09.2007, St. Gallen

Zeitreisen in den Orient, nach Kreta und ins schottische Hochland.
Saisonbeginn an den Opernbühnen von Basel, Luzern und St. Gallen.

Der September ist an den Schweizer Bühnen die Zeit der Saisoneröffnung. Die jüngsten Opernpremieren in Basel, Luzern und St. Gallen haben mehr als blosse Momentaufnahmen vermittelt.

Von den Eröffnungspremieren erwartet man, dass sie ein Signal setzen, sei es mit einem ungewöhnlichen Werk, sei es mit einem Zugstück, welches das Haus schon zu Saisonbeginn füllt. Für letzteres Konzept haben sich diesmal die Theaterleiter in Basel und St. Gallen entschieden, in Luzern steht zwar eine Mozart-Oper auf dem Programm, doch eine der weniger bekannten. Gross ist die Spannweite der Aufführungsstile.

Konventionelle «Lucia di Lammermoor»
Dass das St. Galler Theater die Spielzeit mit Donizettis «Lucia di Lammermoor» eröffnet hat, ist kein Zufall, die Pflege der italienischen Oper hat hier seit der Ära Zörner Tradition. Was allerdings den Aufführungsstil betrifft, so fehlt es dem architektonisch noch immer sehr modern wirkenden Haus gerade in diesem Repertoire an Profil. Die Regisseure wechseln ebenso wie die Dirigenten und Solisten.

Für Stefano Vizioli ist «Lucia di Lammermoor» «die Tragödie einer Frau, die unter dem Joch chauvinistischer Gewalt steht, einer Gewalt, die von Männern ausgeht und die sie ihrer Rechte als Frau beraubt». Das haben andere schon vor Jahrzehnten erkannt und in weit prägnantere Bilder umgesetzt, als sie Allen Moyer auf der St. Galler Bühne zeigt. Ein langer, dunkler Konferenztisch bildet das Zentrum der Macht, umgekippte Grabsteine auf der Vorderbühne und auf der Rückwand verweisen auf die tödlichen Folgen männlicher Unterdrückung. Eine reichlich simple Bildchiffre, die ganz auf Lucias Bruder Enrico zentriert ist, der sie zur politisch opportunen Heirat mit Arturo zwingt. Die romantische Gegenwelt, der Lucias Geliebter Edgardo zugehört, wird dabei ausgeblendet.

Allerdings ist Enrico in der St. Galler Premierenbesetzung auch sängerisch die dominierende Gestalt, von Luca Grassi mit einem kernigen Bariton von grosser Spannweite und Agilität ausgestattet. Edgaras Montvidas kann dem als Edgardo zwar seinen tenoralen Schmelz entgegenhalten, zeigt aber bald Ermüdungserscheinungen. Der Sopran von Evelyn Pollock (Lucia) verfügt über eine erstaunliche Höhensicherheit, neigt aber zu klanglicher Schärfe und bedarf sowohl im Koloraturbereich wie im Farb- und Ausdrucksspektrum noch der Reifung. Der Dirigent Antonino Fogliani macht es den Solisten und vor allem dem von Regieseite dilettantisch geführten Chor nicht leicht. Seine schnellen Tempi wirken oft mehr gehetzt als spannungsvoll. Gute Besucherfrequenzen sollten das St. Galler Theater nicht von Erneuerungsversuchen abhalten.