Aus der Apathie rettet nur noch der Zauber der Musik

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (14.09.2007)

Die Entführung aus dem Serail, 12.09.2007, Basel

Zur Saisoneröffnung im Theater Basel hat Christopher Alden Mozarts «Die Entführung aus dem Serail» in den Sand gesetzt. Musikalisch brillierte am Mittwoch zumindest das Kammerorchester Basel unter Dirigent Attilio Cremonesi.

Wir scheinen in der Wüste zu sein. Nicht in der türkischen oder irakischen, sondern in der amerikanischen, jenen unwirtlichen Gegenden Arizonas, die wir aus Filmen kennen, wo Dornbüsche vom Wind über das Land getrieben werden und die Baracken entweder verfallen oder noch nicht fertig gebaut aussehen. So eine bewohnt der Basler Bassa. «Muslims go home» hat einer an die Tür gesprayt. Osmin versucht zu Beginn des Abends die Schmiererei wegzuputzen, aber wie so vieles an diesem Opernabend gelingt es nicht.

Nonsens en masse

Warum Christopher Alden, der Zwillingsbruder des ebenfalls als Regisseur bekannten David Alden, ausgerechnet Amerika und diese schäbige Baracke ausgewählt hat, wird nicht klar. Warum hier irgendwer irgendjemanden befreien muss, genauso wenig. Die Blonde gibts übrigens doppelt, warum weiss auch keiner, aber die beiden tragen dafür originellerweise schwarze Perücken. Der Bassa hat einen Lautsprecher und ein Mikrofon, aber manchmal spricht er auch ohne. Belmonte hat einen Schlafsack, und auch sonst legt man sich zum Singen gerne nieder. Irgendwie scheint es heiss zu sein, jedenfalls agieren und sprechen alle ziemlich langsam. Ausser Osmin, dessen Temperament hin und wieder die Lethargie durchbricht. Wohl deshalb zündet er irgendwann vor der Pause das Haus an, aber danach scheint jemand den Brand wieder gelöscht zu haben. Irgendeiner hat den Pickup gestohlen, und jetzt kann keiner weg. Vielleicht wollen sie auch nicht wirklich, der Chor immerhin scheint sich als Hippie-Sekte ganz wohl zu fühlen. Vielleicht ist die Hitze allen etwas zu Kopf gestiegen und sie spielen ein bisschen «Entführung», aus der Erinnerung vom Schultheater. Nonsens, so weit das Auge reicht.

Mit all dem könnte man ja spielen. Die Langsamkeit zum Beispiel könnte umwerfend komisch sein, aber Aldens Timing stimmt nie, deswegen ist es nur langweilig. Die «Entführung» ist keine blosse Komödie, aber sie hat starke komödiantische Elemente, Figuren und Situationen. Alden hat sie verschwinden lassen. Was ernst ist und existenziell an diesem Stück wiederum, bleibt kaum fassbar. Wie so oft bei solchen Inszenierungen kommt erst heraus, was gemeint sein könnte, wenn man das Programmheft liest: «Alle Figuren in der 'Entführung' sind dabei zu lernen, mit der Realität umzugehen. In dieser Inszenierung versteckt sich Bassa Selim im Dunkeln und hält die Figuren in gewisser Weise emotional als Geiseln.» Aha. Irgendwie scheint auch das 9/11-Trauma eine Rolle zu spielen. Und die Familie und das Verhältnis zum Vater.

Ein Ohrenöffner als Entschädigung

Also, Augen zu, Ohren auf. Denn zu hören, da gab es wirklich Herausragendes. Zum ersten Mal spielte das Kammerorchester Basel im Theater, und das schlicht sensationell. Herausragende Bläsersolisten brillieren ein ums andere Mal, die Naturhörner sorgen für Farbe und klangliche Kompaktheit, die Streicher sind virtuos und präsent, aber nie dominant. Attilio Cremonesi schlägt mitreissend schnelle Tempi an, kennt die Klangfarben der Originalinstrumente und weiss sie auch aus den heutigen zu kitzeln. Sein Kontakt zur Bühne ist absolut vorbildlich, er bleibt stets elastisch und reagiert sofort. Und er lässt Verzierungen singen und spielen, dass es eine wahre Freude ist.

Auch die Sänger liessen sich davon mitreissen: Laura Aikin als Konstanze irritierte zu Beginn noch mit Schärfen in der Höhe, steigerte sich aber je länger je mehr zu einem mutigen, nicht nur dem schönen Singen verpflichteten, Rollenporträt. Rolf Romei als Belmonte zeigte einen warm timbrierten Tenor, nur mit den Koloraturen und den Freiheiten zu Verzierungen hatte er Probleme. Agata Wilewska und Karl-Heinz Brandt sangen das «leichte» Paar, Blonde und Pedrillo, sicher und wenigstens gesanglich mit der geforderten Komik. Und Stefan Kocán als Osmin kämpfte zwar mit der deutschen Sprache, polterte aber ansonsten wunderhübsch.