Eine Entführung im Niemandsland

Verena Naegele, St. Galler Tagblatt (14.09.2007)

Die Entführung aus dem Serail, 12.09.2007, Basel

Das Theater Basel eröffnet seine Saison mit Mozarts «Entführung aus dem Serail» in der Regie von Christopher Alden. Neben Laura Aikin als Konstanze brilliert das Kammerorchester Basel unter Leitung von Attilio Cremonesi.

Als Kammerspiel mit Tücken könnte man «Die Entführung aus dem Serail» nennen, eine dialogische Geschichte, in der die Menschen gegeneinander antreten, sich hassen, begehren und lieben. Kurzum, ein typischer Opernplot, bei dem im zeitgenössischen Regietheater vor allem der west-östliche Konflikt zwischen dem Serail-Besitzer Bassa Selim und den darin gefangenen Westlern zu provokativen Inszenierungen anspornt.

In Basel aber sucht man vergebens nach sexhungrigen Machos und gewaltbereiten Haremswächtern, was durchaus eine positive Überraschung ist. Und dies, obwohl die Einheitsbühne (Marsha Ginsberg) ein barackenähnliches Haus im Rohbau zeigt, auf deren Eingangstüre der Slogan «MusLiMs Go Home» gesprayt ist. Das ist aber auch alles, was an türkischen Anspielungen auszumachen ist. Schon bald entpuppt sich der Abend als «Entführung» im Niemandsland, bei der man sich fragt, ob die Menschen überhaupt entführt wurden, warum sie an diesem ungastlichen Ort leben und sich so disparat verhalten.

Pop Art im Serail

Dem amerikanischen Regisseur Christopher Alden gelingt zwar das Aufbrechen der gängigen Figurenklischees, und mittels Anlehnungen an Pop Art und Slapstick baut er eine eigene Welt. Pedrillo (Karl-Heinz Brandt) tritt mit Glatze und Gentleman-Hose mit Bügelfalten auf, Konstanze in Jeans und einem bunten Rock. Osmin ist ein Weisshäutiger mit Trainerpluderhose und verwaschenem T-Shirt, Belmonte schliesslich ein dümmlich verdutzter junger Mann, der zu Beginn dick in einen Schlafsack eingerollt von seiner Konstanze träumt.

Rolf Romei hat da buchstäblich einen schweren Stand, denn er liegt meist in akrobatischer Verkrümmung auf der Bühne und muss seine exponierten Arien singen. Seine Stimme klingt so (allzu) kernig und forciert. Stefan Kocán mit sonorer, aber eindimensionaler Stimme gibt einen schlurfend harmlosen Osmin. Was da als psychologische Vereinzelung der Menschen daherkommt, wirkt mit Dauer des Abends aber spannungsarm. Mozarts Musik mit genialen Ensembles und voll Tempo verpufft, denn die Figuren nehmen nie Bezug aufeinander und monologisieren im Schneckentempo vor sich hin.

«Langeweile-Regie»

Diese zerdehnende Absenz wirkt sich fatal auf die Musik aus. Zwar spielt das Kammerorchester Basel unter Leitung von Attilio Cremonesi unglaublich filigran, fein ausbalanciert in der Phrasierung und mit bunt schillernden Klangfarben (Bläser!). Aber bei diesem artifiziellen Ansatz und der «Langeweile-Regie» geht die theatralische Dramatik verloren, Cremonesi verstärkt dies mit unnötig langen Generalpausen. Und dass die Menschen meist weit auseinander auf der riesigen Bühne stehen oder liegen, schadet der musikalischen Balance.

Bei aller Ernüchterung enthält Aldens Inszenierung aber auch anrührende Momente, die von zwei überragenden Protagonisten getragen werden. Da ist der Anti-Bassa von Urs Bihler, ein hagerer älterer Mann, offensichtlich in Konstanze verliebt und mit seiner dunklen, eindringlichen Stimme vielschichtige Facetten seiner Befindlichkeit auslotend. Meist spricht er im Off durch ein Megaphon, nur für die Begegnung mit Konstanze erscheint er auf der Bühne, umarmt und verkrallt sich in die am Boden Liegende. Laura Aikin singt die Szene mit einer bis ins leiseste Piano zurückgenommenen «Traurigkeits-Arie» und, angespornt durch Bihlers körperliche Präsenz, mit einer virtuosen «Martern-Arie» ungemein eindringlich. Ein begeisterndes Herzstück des Abends.