Die erzählerische Kraft kommt aus der Musik

Christian Fluri, Aargauer Zeitung (14.09.2007)

Die Entführung aus dem Serail, 12.09.2007, Basel

Theater Basel Saisoneröffnung mit Mozarts «Entführung aus dem Serail»: Dirigent Attilio Cremonesi und das «kammerorchesterbasel» geben eine starke Mozart-Deutung. Regisseur Christopher Alden schafft dies nicht.

Die Basler Produktion von Wolfgang Amadé Mozarts Singspiel «Die Entführung aus dem Serail» (1781/82) vermag nur musikalisch zu begeistern. Der Dirigent und Alte-Musik-Spezialist Attilio Cremonesi lotet Mozarts Partitur bis in ihre Extreme aus, entwickelt eine packende Dramatik und lässt die Musik auch swingen. Das «kammerorchesterbasel» folgt ihm agil und präzis: Es gab ein erfolgreiches Debut im stark hochgefahrenen Orches-tergraben des Theaters Basel.

Auch im Umgang mit den Tempi erzeugt Cremonesi Spannung. Er bringt den Fluss ins Stocken, wenn die Figuren an sich zweifeln, zögern, sich unsicher wähnen. Und wenn sie in Rage geraten oder sich in Euphorie hinein singen, beschleunigt er bis zu schnellsten Tempi. Es ist die plastisch gestaltete Musik, die zuerst von den emotionalen Konflikten und der inneren Zerrissenheit der Figuren erzählt.

Und die Regie? Der New Yorker Christopher Alden verknüpft zwei Geschichten miteinander. Der Orient-Mythos gehört für ihn seit dem 11. September endgültig der Vergangenheit an. Konstanze, Blonde und Pedrillo sind nicht Sklaven, die der Fürst Bassa Selim von den Piraten losgekauft hat. Sie sind Gestrandete, ebenso Konstanzes Geliebter Belmonte, der sie befreien will.

Bassa Selim und Diener Osmin hausen als Ausgegrenzte zurückgezogen in einer Baracke in vorstädtischer Öde (Bühne: Marsha Ginsberg). Den Bassa Selim deutet Alden › dies die zweite Ebene › zudem als Vaterfigur, von dem die Gestrandeten nicht loskommen. Er thematisiert damit, dass sich Mozart mit der «Entführung» von seinem Vater freigeschrieben hat.

Das Konzept geht nicht auf. Bassa Selim ist bei Mozart eine souveräne Figur. Diese Souveränität geht dem Basler Bassa Selim ab. Zuerst hören wir über Lautsprecher nur seine Stimme, als wäre er ein abgetakelter «Big Brother». Tritt er dann in Windjacke auf und verbirgt sein Gesicht unter der Kapuze, strahlt er Unsicherheit aus, nicht Dominanz. Schauspieler Urs Bihler gibt die Sprechrolle Bassa Selims perfekt so, wie es Alden verlangt › als eher schwache Figur.

So wird auch Konstanzes Zögern, ihre innere Zerrissenheit, die Laura Aikin mit warmem Sopran eindrücklich gestaltet, kaum verständlich. Weshalb soll dieser Bassa ihr Begehren wecken? Ihr Belmonte ist zwar ein selbstverliebter Schwärmer › mit Schmelz gesungen von Rolf Romei. Aber deshalb muss er doch nicht wie ein Wurm daherkriechen? Blonde und Pedrillo sind die schrilleren Figuren, was Agata Wilewska und Karl-Heinz Brandt auch auskosten. Aus Aldens Sicht sind die vier orientierungslose Melancholiker. Das darf aber nicht heissen, dass zwischen ihnen keine Spannungsfelder bestehen. Der Regie fehlt es freilich an innerer und äusserer Spannung › ihr grösster Mangel. Daran ändern auch einige starke Bilder nichts. Und den Osmin zeigt Alden nur in gehemmter Aggressivität. Immerhin macht Osmin-Sänger Stefan Kocán mit kräftigem, dunklem Bass auch die extrovertierte Seite hörbar.