Für den inneren Kreis

Christian Berzins, Mittelland Zeitung (02.10.2007)

Andrea Chénier, 30.09.2007, Zürich

Opernhaus Zürich: «Andrea Chénier» wird nach 1994 erneut inszeniert. Der Aufwand ist gross, der Gewinn gering.

Für Menschen, deren Herz nicht in der Oper erzogen wurde, mag Umberto Giordanos (1867›1948) «Andrea Chénier» eigenartig erscheinen. Wird «Chénier» gespielt, döst das Publikum vor sich hin, schaut alsbald für zwei Minuten gebannt auf den Tenor, kaum ist ein Arienschluss erkennbar, brüllt es los, um dann gleich wieder im Parfümduft des Parketts zu versinken. Zwischen den Soloszenen gibt es wenig zum Staunen. Immerhin: die Oper ist kurz und historische Tatsachen der Französischen Revolution sind in eine tolle Dreiecksgeschichte verpackt. Die Liebe fällt vereint mit der Eifersucht über den Schrecken und den Tod her.

Diese stolze Verismo-Oper aus dem Jahre 1896 führt nach wie vor ein Mauerblümchendasein. Intendant Alexander Pereira hat sie 1994 nach 30-jähriger Abwesenheit auf den Opernhausspielplan Zürichs zurückgeholt. Mutig hatte er damals Hans Hollmann inszenieren lassen: Die Bilder beziehungsweise das Einheitsbühnenbild von Hans Hoffer waren neu für Zürich, die Personenregie allerdings blieb traditionell. Mit «Andrea Chénier» scheint das nicht anders zu gehen, denn die Oper verlangt nach drei überragenden Stimmen. Pragmatisch gilt es also, eine traditionelle Personenregie für (ita- lienische) Gesangsstars einzurichten, die wenig Zeit zum Proben haben. Warum nun aber eine teure Neuin- szenierung des Werks und nicht eine Wiederaufnahme der alten Inszenierung? Es ist das bekannte «System Pereira»: Der Direktor braucht Neuin- szenierungen › Premieren ›, damit die Sponsoren ihr Geld hergeben. Der tiefe Griff in die fremde Tasche löst die hohen Töne aus.

Regisseur Grischa Asagaroff arrangiert die Figuren geschickt, die Bilder sind theatral, aber harmlos. Und doch bildet diese Neuinszenierung nicht mehr als ein Tableau, auf dem sich die drei Protagonisten › bzw. spätere Gäste › problem- und probenlos bewegen können.

Salvatore Licitra singt die Titelpartie: Ein Tenor, der gut artikuliert und somit die rezitativischen, einfach gestrickten Effekte perfekt ausspielen kann. Licitra versteht es zudem, diese Gesten in Gesang zu verpacken: Da strömen dann die Legatolinien honigsüss dahin und die schönen Melodien werden auf einen Thron gehoben. Nur leider sorgt Dirigent Nello Santi in der ersten Arie dafür, dass Licitra fast der Schnauf ausgeht, wohingegen in seiner letzte Arie das Gegenteil passiert: der stille Weltabschied «Come un bel dì di maggio» («Wie ein schöner Tag im Mai») darf Licitra nicht gebrochen langsam erzählen, sondern er muss die Arie rasch, laut und seelenlos durchlaufen.

Die Sopranistin Micaela Carosi wird zurzeit von einem Opernhaus zum anderen gereicht. Kaum hat sie die lyrischen Partien gesungen, stürzt sie sich schon in Verismo-Schlachten › und debütiert als Maddalena in «Andrea Chénier». Gewiss: Die Stimme ist schön und technisch gut, aber die Belastung führt bereits zu einer Spur Grellheit, die dann wieder in eine die Unreife entlarvende Zierlichkeit kippen kann. Auch Lucio Gallo macht eine Karriere im Sauseschritt. Carlo Gérard ist auch für ihn ein Debüt, das dieser Sänger bestechend sicher meistert. Allerdings dauert es lange, bis er den sprechenden Gesang zu einem singenden Sprechen macht. Gelingts, beeindruckt sein reiner, nobler Ton.

ABgesehen vom K(r)ampf mit Licitra begleitet Nello Santi umsichtig, kann aber erneut eine gewisse Belanglosigkeit in der dramatischen Gestaltung nicht vermeiden › vom Orchester kommen sehr einfache Impulse. Bleibt der Fokus also auf den Sängern, die für ein paar Lichtblicke sorgen › nicht für mehr. Schade.

Umberto Giordanos «Andrea Chénier» wird auch in dieser Inszenierung ein Werk für Menschen bleiben, deren Herz in der Oper erzogen wurde. Das ist ein kleiner Kreis.