Stets bemüht auf dem Weg zur legendären Whiskybar

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (15.10.2006)

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, 30.09.2006, Bern

Harry Kupfer hat am Berner Stadttheater die Oper «Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny» von Brecht/Weill inszeniert. Zwei Stars stehlen dabei allen die Show: ein waschechter Helikopter und die Sopranistin Noëmi Nadelmann.

Ein russischer Helikopter auf dem Aletschgletscher - der Alptraum jedes aufrechten Schweizer Generalstabsoffiziers ist Tatsache geworden! Aber nur im Theater: Der deutsche Regisseur Harry Kupfer, der an der Komischen Oper Berlin 20 Jahre lang und darüber hinaus an den führenden Häusern der Opernwelt das Regietheater mitprägte, ist immer noch gut für unkonventionelle Opernideen. Er flog den von seinem Schwanz befreiten Vogel auf die Bühne des Berner Stadttheaters und machte ihn zum Star seiner Inszenierung von «Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny».

Vom Maiensäss zum Hochhaus

Kein Kalter Krieg jedoch: Die Armee bleibt in den Bunkern, gesungen wird immer noch von der Wüste und dem Weg zur nächsten Whiskybar, Palmen gibts auch, und die Kleidchen der leichten Mädchen sind dementsprechend. Stilistische Annäherung an Alpenland-Dirndl verlieren sich im Lauf der Aufführung ebenso wie die Alphütten und Heuschober, die modernen Hochhauslandschaften weichen müssen. Oder Atomkraftwerken und Hiroshima-Mahnmalen. Kupfer beschwört - teils via Video - auch sonst allerlei Untergangs-Chiffren von Atompilzen über Vietnam-Helikopter-Staffeln bis «9/11». Dazu Bertolt Brechts Holzhammer-Moral, das ist fast ein bisschen zu viel des Guten. Aber langweilig wirds nie: Viel Aktion, viele Ideen, auch lustige, so viele, dass einige davon sogar untergehen. Nur richtig zu packen vermag diese Inszenierung trotz imposant rotierendem Helikopter letztlich nicht.

Die Musik allerdings vermag es noch weniger. Das liegt nicht an Kurt Weill, denn dass diese Partitur funktioniert, wurde unterdessen nicht nur in Salzburg bewiesen. Es lag in erster Linie am Dirigenten Daniel Inbal, seit dieser Saison Erster Kapellmeister in Bern, welcher das grossbesetzte Orchester nie in den Griff bekam. Einerseits verwackelte er weit überdurchschnittlich viele Einsätze vor allem des Chors, andererseits war er praktisch immer einen oder mehrere Zacken zu laut, womit die Texte auf der Strecke blieben. Und das ist tödlich für dieses Stück und für Brechts Verse.

Echte Opernstimmen sind gefragt

Anders als die «Dreigroschenoper» aus dem Jahr 1928 verlangt das 1930 uraufgeführte Bühnenwerk «Mahagonny» richtige Opernsänger mit profunder Stimme und der Fähigkeit, Brechts Texte dennoch über die Rampe zu bringen. Bis auf eine Ausnahme fehlten diese in Bern jedoch.

In die Bresche sprang nicht Karan Armstrong als Witwe Begbick auf den Ruinen ihrer einstmals grossen Stimme, nicht Richard Ackermann als Dreieinigkeitsmoses - der immerhin darstellerisch seinen Mann stand - und auch nicht der amerikanische Tenor Douglas Nasrawi als Jim Mahoney, der in der dritten Vorstellung für den erkrankten Hendrik Vonk einsprang und sängerische Limiten und eine stets gepresste, wenig farbige Stimme offenbarte. Er hatte die Partie schon in der Dresdner Semperoper, der Koproduktionspartnerin Berns, gesungen. Kupfer hat seine Inszenierung allerdings noch einmal stark überarbeitet, womit für Nasrawi doch einige Klippen stehen blieben.

Die Einzige, die sich wirklich gegen Inbal durchzusetzen vermochte und der Aufführung ihren Stempel aufdrückte, war Noëmi Nadelmann als Jenny Hill: Souverän, mit viel Gefühl für die stilistischen Anforderungen der Songs, intonationssicher und in jedem Wort verständlich sang sie die kleine Nutte. Und nicht nur das: Nach wie vor verfügt sie über eine unglaublich packende Bühnenpräsenz, auf welche Kupfer sichtbar vertraute und deshalb grosse Teile seiner Inszenierung auf sie zugeschnitten hatte.