Von der Liebe in Zeiten der Revolution

Bruno Rauch, Neue Luzerner Zeitung (02.10.2007)

Andrea Chénier, 30.09.2007, Zürich

Die Revolution, in der Giordanos «Andrea Chénier» spielt, bleibt gepflegt. Aber sängerisch bietet der Abend alles bis hin zur Kraftmeierei.

Titelfigur von Umberto Giordanos (1867 1948) Oper, die am Sonntag am Opernhaus Zürich Premiere hatte, ist die historische, etwas zwiespältige Gestalt des Dichters André Chénier. Zuerst sympathisierte er mit den Aufständischen. Später, desillusioniert vom Gang der Revolution, solidarisierte er sich mit dem Adel, was ihn unter Robespierres Terror aufs Schafott brachte. Erfunden ist dagegen seine Liebesbeziehung zur Aristokratin Maddalena di Coigny. Erfunden auch die Gestalt des Carlo Gérard, einst Lakai im Haus Coigny und dann zum Revolutionstribun avanciert. Auch er begehrt Maddalena.

Zu spät bereut er die Intrige, die er gegen den Nebenbuhler Chénier angezettelt hat. Die Menge verlangt den Tod des angeblichen Verräters. Maddalena schmuggelt sich in den Zug der Verurteilten; das finale Liebesduett der beiden grundiert der tödliche Trommelwirbel.

Revolution als farbiges Volksfest

Umbertos Werk enthält somit alle Ingredienzien eines wirkungsvollen Opernstoffs. Die aktuelle Zürcher Produktion in der Regie von Grischa Asagaroff und der Ausstattung von Reinhard von der Thannen nutzt sie jedoch nur beschränkt. Die Bühne mit umlaufendem Steg zeigt sich als halbrunder Einheitsraum. Überdacht wird er von einer Kuppel aus Lochblech, das ebenso an das Pantheon wie an ein umgekehrtes Salatsieb erinnert. Festsaal, Strasse, Tribunal und Kerker werden durch Versatzstücke wie Sofa, Bistrotische, Obelisk, Aktenstapel oder Schreibpulte angedeutet. Die historisierenden Kostüme bleiben modisch-zeitgenössisches Kolorit. Und die Colliers des Adels, die im gedimmten Licht als Blutspur um den Hals aufleuchten, lassen eher an Jahrmarkt denken als an die Gräuel der Revolution.

Chaos und Entsetzen, von denen die Partitur spricht, wurden auf ästhetisch-folkloristische Staffage reduziert. Mit dem Auftritt der alten Madelon, die ihren Enkel bedenkenlos der Sache der Revolution überantwortet, fokussiert sich das Geschehen, gewinnt an Individualität. Cornelia Kallisch weiss der greisen Mutter anrührendes Profil zu verleihen.

Tödliches Dreiecksverhältnis

Die Oper steht und fällt ohnehin mit der Präsenz grosser Sängerpersönlichkeiten: Wohl verfügt Salvatore Licitra über beeindruckende vokale Potenz. Fehlende Zwischentöne und der permanente Hochdruck machen seinen Chénier jedoch zur wenig inspirierten Figur. Diesem Dichter sind Zweifel und Sensibilität fremd.

Nuancierte Gefühle bringt dagegen Lucio Gallo in seine Partie des Gérard ein. Er stattet den Revolutionär und abgeblitzten Liebenden mit kernigem Bariton und glaubwürdiger Zerrissenheit aus, ohne den genormten Theaterschurken zu geben. Als Maddalena bildet die an der Scala gefeierte Micaela Carosi ein ideales Gegengewicht zur männlichen Kraftmeierei. Mit einem dramatischen Sopran, der sowohl über stählernes Forte als auch innige Zwischentöne verfügt, zeichnet sie eine gefühlsstarke, entschiedene Frau.

Maestro Nello Santi lässt das Orchester mächtig auftrumpfen und treibt es dynamisch oft an die Grenze und darüber hinaus. Dennoch gelingen immer wieder differenzierte Momente, in denen der Reichtum von Giordanos Musik mit innerer Glut zu leuchten beginnt.