Spassig auch ohne Happy End

Fritz Schaub, Neue Luzerner Zeitung (08.10.2007)

Falstaff, 06.10.2007, Luzern

Verdis Alterskomödie «Falstaff» kommt in Luzern in einem zeitgemässen Umfeld daher. Derart, dass man meint, es handle sich um ein neues Werk.

Wenn das Orchester die ersten «Falstaff»-Akkord-Schläge spielt, sieht man nicht die erwartete Shakespeare-Welt. Die Bühne ist über einen Teil des Orchestergrabens vorgezogen, und die erste Szene mit Dr. Cajus, der sich lautstark bei Falstaff beklagt, spielt sich vor einem Zwischenvorhang ab.

Aber sind Alice Ford und Meg Page tatsächlich so böse auf Falstaff, dass sie sich an ihm rächen müssen? Hier liegt einer der Ansatzpunkte, bei denen David Hermann (Regie) und Christof Hetzer (Ausstattung) eigene Wege gehen, indem sie in Verdis Musik verborgene Nuancen aufspüren und «Falstaff» erzählen, als sei es ein neues Werk. Wie ist die Tatsache, dass Alice Ford beim Lesen von Falstaffs Brief zu einer wehmütig-innigen Kantilene ansetzt, anders zu erklären als damit, dass sie sich nach Liebe sehnt und ihr das Stelldichein mit Falstaff gar nicht ungelegen kommt? Zumal dieser Falstaff gar kein Ausbund an Hässlichkeit ist.

Die personifizierte Lebenslust

Nein, dieser Falstaff ist die personifizierte Lebenslust, die in die sterile bürgerliche Welt einbricht und sie gehörig durchrüttelt. Für ihre Darstellung hat Ausstatter Christof Hetzer grossräumige, spiegelglatte, gestylte Interieurs geschaffen, die eine luxuriöse Sauna-beziehungsweise Wohnlandschaft evozieren. Allerdings fliegt diese im zweiten Akt in Fetzen, wenn der eifersüchtige Ford rast und alles durcheinanderbringt. Hier erreicht die ganz auf Tempo, choreografisch abgezirkelte Bewegung und gestische Lebendigkeit ausgerichtete Inszenierung ihren Höhepunkt, an dessen Ende Falstaff durch ein sich plötzlich öffnendes Loch fällt.

Dass der Sturz in einen Fluss führt, zeigt das Bühnenbild des dritten Aktes, in dem mit surrealistischen Mitteln der Sturz nachgezeichnet wird. Hier wird nochmals veranschaulicht, wie sehr dieser Falstaff polarisiert. Dem harmonischen Ausklang mit der berühmten Schlussfuge «Alles ist Spass auf Erden» misstrauen die szenischen Leiter: Reihenweise treten die Figuren beim Anstimmen der Fuge an die Rampe, und die todunglückliche Meg Page jagt sich dabei eine Kugel in den Kopf.

Spiel, Szene und Musik als Einheit

Diese Konstellation wirkt sich auch stimmlich aus: So wird Olga Privaloga (Meg) von der ausdrucksvoll phrasierenden Mechthild Bach (Alice) abermals ins zweite Glied versetzt. Virtuos spielt Gregor Dalal Falstaff, geschmeidig im Parlando, stimmgewaltig auftrumpfend in den beiden grossen Arien. Dass «Falstaff» eine Comedia lirica ist, macht vor allem die ebenso quicklebendige wie ätherisch singende Nannetta der Sumi Kittelberger deutlich, während man Martin Nyvalls Fenton noch mehr lyrische Innigkeit wünschte. Die beiden bilden mit dem sich vor allem in den Elfengesängen vorteilhaft präsentierenden Theaterchor (Einstudierung: Lev Vernik) den ruhenden Pol in diesem turbulenten, beinahe überbordenden «Falstaff».

Überraschenderweise setzt auch John Axelrod mit bemerkenswertem Feeling zu solch stillen und poetischen Momenten an und unterbricht damit immer wieder sein zwischen akzentuierter Gestik und mächtig ausholenden Steigerungen wechselndes Dirigat, mit dem er das Luzerner Sinfonieorchester gehörig auf Touren bringt.