Königsburger und Königs Besen

Oliver Schneider, DrehPunktKultur (22.10.2007)

Königskinder, 21.10.2007, Zürich

Engelbert Humperdinck kennt man in erster Linie wegen seiner Märchenoper „Hänsel und Gretel“. Verdienstvollerweise hat das Opernhaus Zürich sich entschieden, seine „Königskinder“ auf den Spielplan zu setzen.

Libretto und Partitur bezeichnen „Königskinder“ als Märchenoper. Die Namenlosigkeit der Personen, Märchenfiguren wie Hexe, Königssohn und Gänsemagd, vergiftetes Zauberbrot, bestätigen dies scheinbar. Diese märchenhafte Symbolik geht auch in der Inszenierung von Jens-Daniel Herzog und in der Ausstattung von Mathis Neidhardt nicht verloren. Das königliche Insignium taucht gleich zweifach auf: als „echte Krone“ und in Form von Papierkronen der Kellner des Fast-Food Restaurants „Hella Burger“ im zweiten Akt. Im Übrigen verzichtet das Regieteam aber auf märchenhafte Verniedlichungen und beweist, dass das sperrige Libretto von Elsa Bernstein-Porges - der tragische Tod des Königssohns und der Gänsemagd und die negative Zeichnung der Gesellschaft - nichts mit einem Märchen gemein haben.

Dass eine Herrschaft des Königssohns und der von einer Hexe aufgezogenen Gänsemagd von vornherein an der gesellschaftlichen Realität scheitern muss, macht das Regieteam szenisch durch einen Einheitsraum deutlich, der zunächst als Chemielabor einer Schule fungiert und dann zu einer Turnhalle wird. In der Turnhalle treffen sich die miefigen Spiessbürger von Hellabrunn, um sich Königs Besen verkaufen zu lassen und um Königsburger in Plastiksackerln zu verdrücken. Wenn die Wirtstochter auch den Königssohn, der hier als Kellner arbeitet, zum Essen animieren will, ist dessen Reaktion gesundheitspolitisch aktuell: „Das Fett macht mir übel.“

Regisseur Herzog zeichnet nicht nur die Stimmungen und den desolaten Zustand der Gesellschaft messerscharf, sondern arbeitet auch die Charaktere der Personen mit Bedacht heraus. Das junge Königspaar und auch die Kinder in ihren Schuluniformen gehören klar nicht zu der gestrigen Gesellschaft von Hellabrunn. Der deutsche Regisseur widmet auch den vielen kleineren Rollen viel Aufmerksamkeit, zum Teil vielleicht zu viel. So wird die Wirtstochter im zweiten Akt zur heissblütigen Domina, die Ratsherren zu unglaubwürdigen Chargen, die vom Volk mit Abfällen beworfen werden. Etwas zu clownesk geraten Holzhacker und Besenbinder. Die unausstehliche Lehrerin, die Hexe, erinnert aber wohl mehrere Generationen an ihre Schulzeit.

In ihrer ursprünglichen Fassung waren die „Königskinder“ ein Melodram für ein Schauspielerensemble. Humperdinck arbeitete das Werk später um, behielt aber gleichwohl die gebundenen melodramatischen Nummern als Grundlage bei. Dadurch entstand trotz der unverkennbaren Nähe zu Wagners Klangsprache und Dramaturgie eine eigenständige, effektvolle Vertonung mit volksliedhaften, lyrischen und spätromantischen Passagen.
Erstmalig ist Ingo Metzmacher für eine Oper nach Zürich gekommen. Er balanciert die verschiedenen Facetten der Partitur kongenial aus, fordert die Musiker des Opernhaus-Orchesters zu prägnantem und transparentem Spiel und schenkt vor allem dem permanenten Fluss der Musik Beachtung. Metzmacher ist den überzeugenden Solisten so fast immer ein aufmerksamer Begleiter und lässt das Orchester dafür in den Vorspielen auftrumpfen.

Ausser Jonas Kaufmann gaben alle Protagonisten an der Zürcher Premiere ihr Rollendebüt. Kaufmann ist ob seiner Erscheinung und stimmlich eine Idealbesetzung, denn er weiß in den eher lyrischen beiden ersten Akten mit seiner samtigen Mittellage genauso wie im dritten Akt mit der Strahlkraft seiner gereiften, metallischer gewordenen Stimme zu überzeugen. Seine Gänsemagd Isabel Rey kann trotz ihres ausgeprägten Vibratos mit lyrisch-warmen Tonfall und stimmlicher Geschmeidigkeit punkten. Oliver Widmer bewältigt die Partie des Spielmanns mehrheitlich mit Anstand, Liliana Nikiteanu ist stimmlich und darstellerisch die perfekte böse Lehrerin.

Mit dieser Neuproduktion brechen Regieteam, Solisten, Orchester und die von Ernst Raffelsberger einstudierten Chöre eine Lanze für die zu Unrecht im Schatten von „Hänsel und Gretel“ stehenden „Königskinder“.