Unerbittlich leise

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (05.11.2007)

Penthesilea, 03.11.2007, Basel

Spannende Neuinszenierung von Othmar Schoecks «Penthesilea» am Theater Basel

Am Theater Basel entwickeln Dirigent Mario Venzago und Regisseur Hans Neuenfels Schoecks «Penthesilea» aus dem Leisen und Einfachen zu grösster Dichte.

Den Zeitgenossen Heinrich von Kleists war dessen «Penthesilea» zu brutal, die Verbindung von Gewalt und erotischer Anziehungskraft zu gewagt. Dass er die Sage der Amazonenkönigin Penthesilea so umdeutete, dass sie den griechischen Helden Achilles zerfleischt, weil sie seine Liebe nicht erkennt, stiess auf Unverständnis.

Als Othmar Schoeck dieses Stück zu einem neunzigminütigen Opern-Einakter formte und 1923 in Dresden zur Uraufführung brachte, schaffte er es, trotz massiver Kürzungen, den Geist und die Kraft vom Schauspiel auf die Oper zu übertragen – selbst unter Literaturopern ist das nicht allzu oft der Fall. Selber ordnete er seine Musik den Versen unter, und er meinte gar, er hätte nur Harmonien und Rhythmen zu ihnen hinzugefügt.

Man kann das so sehen. Wenn man aber hört, wie viel Spannung schon in den langen Melodram- oder sehr sprechnahen Passagen durch die Musik entsteht, wird man Schoecks Aussagen als starkes Understatement bezeichnen müssen – das macht die anregend gelungene Basler Neuinszenierung mehr als deutlich.

Venzagos Präzision

Mit dem Schweizer Mario Venzago steht sein ehemaliger Chefdirigent vor dem Basler Sinfonieorchester. Fast muss man sich mit einem Blick vergewissern, dass wirklich ein gewaltiger Apparat (fünf Schlagzeuger, zwei Klaviere) im Graben sitzt – so leise, so genau lässt Venzago spielen. Nur ganz selten dreht er auf, nie entsteht aus der Masse ein massiger Klang, sondern Farbigkeit und Intensität. Typisch dafür das Ende: Penthesileas Schlussworte «Küsse und Bisse das reimt sich, und wer von Herzen liebt / kann schon das eine für das andere greifen» erklingen in einem Piano, das fast abzubrechen droht (das aber eben nicht tut!) – der finale Tutti-Schlag entfaltet seine Wirkung, ohne dass er ohrenbetäubend sein muss.

Der Textverständlichkeit ist dieser Ansatz sehr zuträglich und damit auch dem engen Zusammenwirken von Wort und Musik, wie man sie sich im Musiktheater wünscht. Als Kehrseite muss man dafür eine beschnitten wirkende Dramatik in Kauf nehmen. Anders könnte Tanja Ariane Baumgartner in der Rolle der Penthesilea kaum bestehen, jetzt gehören ihre eindrücklichen leisen Töne und ihre Intensität zu den Pluspunkten. Das lodernde Herz der charismatischen Königin der Amazonen nimmt man ihr allerdings weniger ab als die Liebende, die über die eigene Heftigkeit erschrickt.

Auch die Regie von Altmeister Hans Neuenfels setzt auf die Kraft leiser Intensität. Beim Zweikampf, in dem sich Achilles besiegen lässt, weil er weiss, dass Penthesilea nur einen Mann nehmen darf, den sie im Kampfe bezwang, bleibt die Bühne einfach leer, die Stimmen der Kämpfenden kommen via Lautsprecher von weit oben im Bühnenhimmel.

Schon vorher sprachen und sangen Penthesilea und Achilles in den Momenten, wenn für einmal weder die blosse Anziehung noch die gesellschaftlichen Normen bestimmend sind, aus dem Off. Sichtbar intensiv hat Neuenfels mit dem Ensemble die Rollen entwickelt. Ursula Füri-Bernhard in der musikalisch undankbaren Partie von Meroe, Penthesileas Schwester, und auch die Schauspielerin Oda Pretzschner als «Oberste der Amazonen» nutzen dies eindringlich.

Amazonen und Filmhelden

Mit ihren klar linierten rot-schwarz-weissen Kostümen erinnern die Amazonen an die Antike, während die griechischen Männer in Cowboy-, Piraten- oder Fliegerkostümen dem Figurenrepertoire der Filmhelden entspringen (Kostüme Elina Schnizler). Thomas Johannes Mayer als auch stimmlich imposanter Achilles steht schon durch seinen Brustpanzer zwischen den beiden Parteien. Gisbert Jäkels Bühne arbeitet mit ihren antiken Pilastern mit vergleichbaren Kontrasten und lässt genug Raum für die raschen Auf- und Abtritte des szenisch wie vokal sehr präsenten Chores.

Nicht immer erschliessen sich die Bilder der Inszenierung so klar. Dass sie aber immer anregend wirken, macht ihre Faszination aus. Das schwarz glänzende Klavier und das riesenhafte Pferd, auf dem das Paar im grossen, stark an Richard Strauss' Ekstatik erinnernden Duett Rücken an Rücken singt, irritieren und geben zu denken. Packendes Musiktheater!