«Küsse, Bisse, das reimt sich»

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (05.11.2007)

Penthesilea, 03.11.2007, Basel

Die triumphale Heimkehr einer Oper: «Penthesilea» von Othmar Schoeck am Theater Basel

Das Theater Basel knüpft an seine besten Zeiten an: Mit der Schoeck-Oper «Penthesilea», inszeniert von Hans Neuenfels und musikalisch geleitet von Mario Venzago. Ein grosser Abend.

Ein kluger, erfahrener Regisseur und ein Schoeck-Spezialist im Orchestergraben › das war in der jüngsten Basler Opernpremiere am Samstag eine Erfolgskonstellation. Dirigent Mario Venzago, mit diesem sperrig-schwierigen Werk von 1927 vertraut wie kein Zweiter, hatte das Sinfonieorchester Basel, den von Henryk Polus einstudierten Theaterchor und die ausnahmslos glänzenden Gesangssolisten ganz auf seine Linie gebracht und sorgte für eine intensive musikalische Umsetzung dieses nur knapp neunzigminütigen, aber mit Kniffligkeiten aller Art gespickten Einakters.

Überraschend. Zu Recht bat der Dirigent am Ende drei Trompeter des Orchesters stellvertretend für den ganzen Klangkörper auf die Bühne. Und Regisseur Hans Neuenfels, sonst Proteststürme von Orkanstärke gewöhnt, strahlte über das Erreichte. Er hatte mit dem Bühnenbildner Gisbert Jäkel und der Kostümbildnerin Elina Schnizler eine gleichermassen überraschende wie schlüssige Inszenierung auf die Bühne gestemmt. Kein Buh trübte die Premierenharmonie.

GRADLINIG. Neuenfels gilt seit über 30 Jahren als Protagonist des deutschen Regietheaters. Dieses Enfant terrible der Opernszene greift mit seinen Rätselbildern gern ins Arsenal der Tiefenpsychologie und scheut nicht die Provokation. Doch kennt Neuenfels auch den Unterschied zwischen Stücken, die altbekannt und der ästhetischen Verfremdung zugänglich sind, und anderen Werken, die es erst einmal gradlinig zu erzählen gilt, damit sie überhaupt verstanden werden.

Zu diesen zählt Schoecks Oper «Penthesilea», die zu unbekannt ist, um gegen den Strich gebürstet zu werden. Neuenfels erzählt die Geschichte von der Amazonenkönigin Penthesilea und dem Griechenkönig Achilles, die sich im Kampf lieben lernen und am Ende doch töten, in einem schlichten antikisierenden Bühnenbild ohne Verrätselung, dafür mit klaren, bisweilen filmreif ästhetischen Bildern, die das Auge fesseln, ohne den Geist zu unterfordern.

Am Anfang mag man sich wundern über die beiden höchst unterschiedlichen Menschenwelten, die da auf die Bühne finden: einerseits die in strengem Schwarz-Weiss gehaltenen Amazonen mit ihren hölzernen Pfeilen, andererseits die bunte individualisierte Griechenschar mit Pistolen › Westernhelden neben Kolonisatoren und Urwaldforschern.

KONTRASTREICH. Die Frauen ein Heer, die Männer ein kunterbunter Haufen Einzelner. Wie da die Geschlechter zusammenpassen sollen, ist schwer vorstellbar, und schon sind wir bei Kleists Grundthema, dem Spiel von Anziehung und Abstossung. Die Amazonenkönigin (mit gut gestütztem, ebenmässig geführtem Mezzosopran: Tanja Ariane Baumgartner) ist eine mädchenhafte antike Schönheit mit schmaler Goldkrone, ihr Widersacher Achilles (Thomas J. Meyer mit kräftigem, aber differenziertem Bariton) ein lockerer, dandyhafter, den Künsten zugewandter (Klavierszene!) Strahlemann. Der Kontrast hält sich durch. Wenn die verblendete, dem Wahn verfallene Penthesilea am Ende mit irrem Lächeln ihr Opfer präsentiert, hat sie es zerstückelt in seine eigenen Reisekoffer verpackt, deren Bestimmungsort kein anderer als das Totenreich ist.

Verzückt. Neben den grossen Linien dieser Inszenierung fallen schöne Details in der Personenführung auf, die das sichere Handwerk von Hans Neuenfels bestätigen. Wenn Penthesilea ihren Mantel ablegt, steht ihre Schwester Prothoe (im Sprechen wie im Singen klar akzentuierend: Ursula Füri-Bernhard) hinter ihr, ohne der Höhergestellten zu helfen, denn sie ist verzückt durch den Anblick ihrer liebestrunkenen stolzen Herrin.

Und wenn der im Kampf siegreiche Grieche der Ober-Amazone als Unterlegener präsentiert wird, damit sie ihn als Mann annehmen kann, scheint Penthesilea seine Handfessel mit dem Mund zu küssen und gleichzeitig mit den Zähnen zerbeissen zu wollen. Ein starkes Bild und ein Vorgriff auf das berühmte «Küsse, Bisse» in der Schlussszene der Kleist-Vertonung. Eine Aufwertung erfährt in der Basler Fassung die Person der Obersten des Amazonenheers. Oda Pretzschner gibt sie als androgyne, äusserst deutlich artikulierende Sprecherin.

Othmar Schoecks Musik wird häufig mit der des Grossmeisters der modernen Antiken-Oper, Richard Strauss, verglichen. Tatsächlich erinnern einige Stellen an «Elektra» und an «Salo-me», es gibt die Liebeskantilene der Violine wie in «Tod und Verklärung» und die hohen repetitiven Flöten wie in «Elektra», ja selbst ein vom Komponisten nachträglich eingefügtes grosses Liebesduett.

SELBSTSTÄNDIG. Doch klingt die Musik des Schweizers Schoeck spröder, brüchiger, weniger geglättet als die seines bayerischen Zeitgenossen. Typisch für «Penthesilea» sind die immer wieder abbrechenden Aufschwünge, die der Musik einen Schatten von Pessimismus verleihen.

Es ist Mario Venzagos Verdienst, dass in der Basler Aufführung mit dem grossartigen Chor und dem vor allem in den Bläsern beherzt und versiert aufspielenden Orchester Schoecks Eigenklang, seine Schroffheiten und klanglichen Löcher, gewinnend zum Klingen kommen. Diese Wiederbegegnung mit einer fast vergessenen Oper lohnt sich auch musikalisch.