Christian Fluri, Mittelland Zeitung (05.11.2007)
In der Basler Produktion von Schoecks Oper «Penthesilea» stimmt alles: Bilderstark ist Hans Neuenfels’ Regie, packend das Dirigat Mario Venzagos.
Die wahnsinnig gewordene Penthesilea schiebt einen Rollstuhl vor sich her. Darauf liegen blutverschmierte Koffer. In ihnen verpackt die von Penthesilea zerstückelte Leiche Achilles’. Sie legt die Koffer nebeneinander, liebkost, küsst sie, bricht zusammen. Sie stirbt aus unermesslicher Trauer, weil sie den zerstört hat, den sie liebt. Mit dem orchestralen Aufschrei endet Othmar Schoecks Oper «Penthesilea» am Theater Basel. Das ist der starke Schluss eines grossen Theaterabends, den Hans Neuenfels und sein Regieteam mit Bühnenbildner Gisbert Jäkel, der Dirigent Mario Venzago, die Solisten, der Theaterchor und das Sinfonieorchester Basel geschaffen haben.
Das Theater Basel bringt Schoecks selten gespielte Oper mit dem wohl besten Team auf die Bühne. Das verdient Lob. Die Oper nach Heinrich von Kleists Tragödie «Penthesilea» von 1808 hat Schoeck 1923›25 und 1927 komponiert, sie ist sein spannendstes Bühnenwerk, es setzt die emotionale Essenz von Kleists «Penthesilea» in Musik.
Regisseur Neuenfels und Bühnenbildner Jäkel lassen «Penthesilea» an dem Ort spielen, an dem die antiken Mythen tradiert und immer wieder neu gedeutet und geschrieben wurden: in einer grossbürgerlichen klassizistischen Villa, die einen griechischen Tempel zitiert. In dieser Welt dienten die Sagen, darunter die Geschichte der Amazonen und ihrer Königin Penthesilea dazu, auch die dunklen, irrationalen Kräfte im Menschen zu benennen, um sie so im Leben, im Denken zu bändigen. Dabei gelingt es Neuenfels mit seiner bilderstarken Inszenierung, den zeitlichen Bogen von Klassik und Romantik bis in unsere Gegenwart zu ziehen: Er erzählt die Rezeptionsgeschichte der «Penthesilea» mit.
Die Amazonen verkörpern › bewaffnet mit Bogen und phallischen Pfeilen › im ersten Bild Nachtgeister, entstanden aus männlichen Ängsten. Sie treten auf in weissen Kleidern mit schwarzen Soldatenmänteln (Kostüme: Elina Schnizler). Als Antikenzitat ist die Oberste (Sprechrolle) kostümiert.
Die Griechen sind als die bekannten Film- und Comicfiguren gezeichnet, die männliche Helden- und Eroberungswünsche verkörpern. Vom Westernhelden über Piraten bis Zorro ist alles vertreten. Hier wird boshaft männliches Gehabe entlarvt.
In ihrer inneren Zerrissenheit differenziert gestaltet sind Penthesilea und Achilles. Ihre aufflackernden Liebessehnsucht, die ihr kriegerisches Selbstbewusstsein untergräbt, verstört beide. Ihre Liebe kulminiert im betörenden Duett. Neuenfels inszeniert genau die darin besungene brüchige Utopie. Seine Bildsprache weist dabei auf die nahende Katastrophe hin. Er setzt zugleich Symbole romantischen Kunstverständnisses: Da ist das Klavier, an dem die Künstlerfigur Achilles Penthesilea besingt, dann die Plastik eines Schimmels. Seine genaue Personenführung beleuchtet präzis die Psychen der Figuren, ebenso das grosse Missverständnis: Penthesilea stürzt in den Wahnsinn, als sie ihre Liebe von Achilles verraten glaubt, Achilles hingegen sieht sich schon als Bräutigam. Das unter die Haut gehende Schlussbild krönt dieses grandiose Theaterkunstwerk.
Grosses Verdienst kommt auch dem Dirigenten Mario Venzago zu, dem Schoeck-Spezialisten, der die Partitur bereits für die Aufführung von 1999 am Lucerne Festival überzeugend bearbeitet hat. Er und das hochkonzentriert und wunderbar spielende Sinfonieorchester Basel entfalten den ganzen Farbenreichtum von Schoecks Musik.
Grossartig singen und spielen die Mezzosopranistin Tanja Ariane Baumgartner und der Bariton Thomas J. Mayer, die Penthesilea und Achilles ideal verkörpern. Hervorragend gibt Schauspielerin Oda Pretzschner die Oberste, in der fast alle Sprechpartien vereinigt sind. Beeindruckend auch Ursula Füri-Bernhard als Amazonenfürstin Prothoe. Und schlicht erstklassig ist wiederum die Leistung des Basler Theaterchors.