Tanja Ariane Baumgartner brilliert in «Penthesilea»

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (05.11.2007)

Penthesilea, 03.11.2007, Basel

Im 50. Todesjahr des Schweizer Komponisten Othmar Schoeck brachten Mario Venzago und der oft umstrittene Regisseur Hans Neuenfels am Samstag am Theater Basel die Oper «Penthesilea» auf die Bühne.

Es ist eine Herzensangelegenheit: Mario Venzago, von 1997 bis 2003 Chefdirigent in Basel, hat sich vor acht Jahren schon einmal vehement für Othmar Schoecks «Penthesilea» eingesetzt: Mit seinem eigenen Orchester, der Philharmonischen Werkstatt Schweiz, plante er damals eine konzertante Aufführung. Das Ensemble musste passen, Venzago riskierte seine finanzielle und gesundheitliche Substanz, brachte das Stück mit dem Basler Sinfonieorchester auf die Bühne des Lucerne Festival und in die CD-Regale (bei MGB Musiques Suisses), und der gewann schliesslich mindestens Geld und Achtung. Die Gesundheit hatte gelitten, ein bewegender Film vom Fotografen-Bruder Alberto Venzago erzählt eindrücklich von dieser bewegten Zeit. Ein Neuanfang war nötig.

Partitur kräftig bearbeitet

Jetzt aber ist Venzago zurück in Basel, zurück mit «Penthesilea». Er hat die Partitur kräftig bearbeitet, denn Schoeck sei kein akribischer Tüftler und Vollender gewesen, sondern habe lieber mit seinen Freunden geraucht und getrunken, als seinen Kompositionen den letzten Schliff zu verpassen. Vor allem rhythmische und dynamische Retuschen hat Venzago in der Partitur vorgenommen und manche Sprechstelle im Stil eines Melodrams mit Musik unterlegt. Zudem hat er eine neue Figur eingeführt: Eine Oberste der Amazonen, die den Sängern einen grossen Teil ihrer Sprechtexte abnimmt, worüber weder diese noch das Publikum unglücklich waren. Umso weniger, als Oda Pretzschner ihre Sache sehr gut machte.

In ihrem eigenen Element machten die Sänger deutlich bessere Figur: Vor allem Tanja Ariane Baumgartner in der Titelrolle überraschte mit einer eindringlichen Darstellung, mit satten Tönen in der Tiefe, kluger Gestaltung und Farben- und Nuancenreichtum in der Darstellung dieser von den Ereignissen so gnadenlos getriebenen Figur. Thomas Johannes Mayer als Achill hingegen setzte in einer nicht sehr dankbaren Partie keine grossen Akzente.

Rückhaltlose Unterstützung

Othmar Schoeck selbst ging 1923 aus persönlichen Motiven an diesen Stoff heran: Gerade hatte ihn seine erste Frau, die Genfer Pianistin Mary de Senger, verlassen, der Kampf der Geschlechter faszinierte ihn, und wo hätte er ihn in extremster Ausprägung schöner finden können als bei Kleists «Penthesilea»? Knapp ein Viertel der wunderschönen artifiziellen Kleist-Verse blieb nach mehreren Arbeitsgängen für das Libretto übrig. 1927 war die lauwarm aufgenommene Uraufführung in Dresden, auch folgende Revisionen Schoecks blieben ohne grosse Resonanz. Man kann es nachvollziehen: Trotz Venzagos Einsatz und der rückhaltlosen Unterstützung im Orchester wirkt das Werk recht heterogen, schillert zwischen Straussscher Süsse und expressionistischer Brutalität, findet aber bis auf das Liebesduett und Penthesileas Monolog am Ende keine grossen Linien.

Gestalten aus Film und Literatur

Mit Hans Neuenfels war einer der heute umstrittensten Regisseure in Basel tätig. Er versetzte das antike Schlachtengetümmel in einen klassizistischen Innenraum von heute ohne sonst viel fassbare Lokalisierungsmöglichkeiten anzubieten. Ein Klavier spielt eine etwas undurchschaubare Rolle, Karaoke-Einlagen führen das Gefüge dynamischer Abstufungen ad absurdum, die Amazonen rennen mit Pfeil und Bogen über die Szene und unter den Griechen sind so ziemlich sämtliche Abenteurergestalten aus Film und Literatur versammelt: Ignorante Konquistadoren und Kolonisatoren allesamt, die in eine Welt einbrechen, deren Werte und Eigenheiten sie weder kennen noch schätzen. Nur Achill, langhaariger Popstar seiner Clique, ahnt Schönheit, wenn es auch nur die oberflächlich-weibliche ist.

Nicht mehr als Konfektion

Wirklich spezielle Einsichten in den Penthesilea-Stoff bietet Neuenfels nicht. Er steht ihm auch nicht im Weg: Penthesileas grosse tragische Szene am Ende, oder auch das Liebesduett davor, entfalten ihre Wirkung dank oder trotz der Regie, vor allem aber auch dank der Darsteller auf der Bühne. Auch grosse Namen im Regietheater bieten manchmal nicht mehr als Konfektion. Aber eines hat dieser Abend bei mir bewegt: Kleist lesen!