Männermeute stört Frauenrituale

Urs Mattenberger, Neue Luzerner Zeitung (05.11.2007)

Penthesilea, 03.11.2007, Basel

Die Basler Aufführung von Schoecks Oper «Penthesilea» ist ein Ereignis. Auch wegen Mitwirkenden mit Zentralschweizer Bezügen.

Schon in Zeiten, als der Mann noch als Herr im Haus galt, war längst nicht ausgemacht, wer in der Beziehung das Sagen hat: der Mann oder etwa doch die Frau? Dieser Geschlechterkampf ist mittlerweile über 2500 Jahre alt. Eines der frühesten Beispiele dafür ist der antike Mythos der Amazonen. Sie stellten als Frauen ihren Machtanspruch sicher, indem sie nur zum Mann nahmen, wen sie im Kampf besiegten.

So heisst es bei Heinrich von Kleist, der den Stoff in der Frühzeit der modernen Frauenemanzipation behandelte (1808). Und der in Brunnen geborene Othmar Schoeck (1886­1957) griff 1923 auf den Klassiker zurück, um sich den Frust über eine gescheiterte Liebe von der Seele zu schreiben. Dieser inspirierte ihn, zusammen mit der Begegnung mit der damaligen Avantgarde von Schönberg bis Strawinsky, zu seiner modernsten und unerbittlichsten Oper: «Penthesilea».

Dreifach spannend

Die Neuinszenierung, die am Samstag in Basel vom Publikum begeistert aufgenommen wurde, war dreifach spannend. Regie führte mit Hans Neuenfels ein Altmeister des Regietheaters, die Titelrolle wurde zum Triumph für das Luzerner Ensemblemitglied Tanja Ariane Baumgartner. Und am Pult stand mit dem in Zug aufgewachsenen Mario Venzago ein Kenner des Werks, dessen Aufführung im KKL Luzern demnächst im Kino der Film «Mein Bruder, der Dirigent» dokumentiert.

Am aufregendsten ist in Basel tatsächlich die von Venzago eingerichtete musikalische Fassung. Zentral ist die eingefügte Figur einer Amazonenoffizierin. Sie verhilft Kleists wortgewaltiger Sprache zu einer eigenen Bühnenpräsenz (mit fauchendem Temperament: Oda Pretzschner), macht den Verlauf der Handlung leicht verständlich, stört allerdings vorab im ersten Teil auch den musikalischen Fluss. Das Sinfonieorchester Basel spitzt nicht nur die perkussiven Schroffheiten der Partitur zu, sondern verhilft ihr immer wieder auch zu überschwänglicher Weite und Süsse.

Die Regie von Hans Neuenfels bezieht in klassizistisch strenger Bühnenarchitektur (Gisbert Jäkel) Stellung für die Frauen im Geschlechterkampf. Plakativ verdeutlichen das die Kostüme: Die Amazonen um ihre Königin Penthesilea sind wie Priesterinnen in schmucklose, blendend weisse Gewänder mit schwarzen Überwürfen gekleidet, wobei jederzeit jubelnde Helligkeit in dunkle Trauer umschlagen kann.

Die von Achilles geführten Griechen dagegen sind ein bunter Haufen von Abenteurern gemischt aus Zorros, Westernhelden und Piraten. Das spiegelt sich auch in der Figurenregie: Während Neuenfels die Auftritte der Frauen mit ihren Pfeilbogen als schwesterliche Gemeinschaftsrituale choreografiert, bleiben die Auftritte der Griechen chaotische Ansammlungen von Möchtegernhelden.

Scheitern am Machtanspruch

Bei den zentralen Figuren der Penthesilea und des Achilles wird das zugespitzt und zugleich aufgehoben. Der Achilles von Thomas Johannes Meyer stelzt als aufgeblasener Macho über die Bühne, dessen Liebe selbst im gelöst fliessenden Duett mit Penthesilea nicht glaubwürdig wirkt. Ariane Baumgartner zieht in der Titelrolle alle Register, wie man sie auch von ihren Auftritten in Luzern kennt: Von lasziver Erotik über animalische Triebhaftigkeit bis zu ihrer Wahnbesessenheit spielt sie eine Frau, deren Liebe am eigenen Machtanspruch scheitert. Wenn sie am Ende den zuvor siegreichen Achilles im Zweikampf getötet hat, den er zum Schein anbietet, um sich ihr geschlagen zu geben, ist Baumgartners dunkles Flüsterpiano so intensiv wie die durchdringenden stimmlichen Kraftakte, die das Werk auch verlangt.

Versuchte Frauenemanzipation

Mit alledem ist diese «Penthesilea» ein Opernereignis. Nur einzelne Versuche, die archaische Geschichte doch konkret an die Gegenwart heranzurücken, überzeugen nicht wie das zänkische Machtgezerre nach dem ersten kurzen Liebesglück, das Neuenfels als mediales Rededuell mit Mikrofonen inszeniert. In Basel bleibt so trotz dem spannend inszenierten Schluss, in dem sich nach dem legendären Kleist-Wort «Küsse» in «Bisse» verwandelt haben, alles beim Alten: bei versuchter Frauenemanzipation, die unpartnerschaftlich im Wahnsinn endet.