Musikalisch ein grosses Ereignis

Anna Kardos, Tages-Anzeiger (05.11.2007)

Penthesilea, 03.11.2007, Basel

Am Theater Basel dirigiert Mario Venzago die «Penthesilea» von Othmar Schoeck.

«Penthesilea, meine Braut! Was tust du?! Ist dies das Rosenfest, das du versprachst?», fragt Achilles ungläubig, bevor ihn der Pfeil der Geliebten tödlich trifft. Othmar Schoeck zeichnet in seinem Einakter ein Bild von der Unmöglichkeit der Liebe, dem fundamentalen Missverständnis zwischen Frau und Mann. Durch einen Irrtum in Raserei gestürzt, tötet und zerfleischt die Amazonenkönigin Penthesilea den von ihr geliebten Achilles.

Das kühne Gesamtkunstwerk stellt Sänger wie Orchester vor heikle Aufgaben, welche vom Ensemble unter der musikalischen Leitung von Mario Venzago und der Regie von Hans Neuenfels zum einen mit Bravour gelöst wurden oder denen man andererseits lieber elegant auswich. So wurde für die langen kleistschen Sprechpartien eigens eine Sprechrolle geschaffen, mit dem Effekt, dass sie nun perfekt verständlich und angemessen interpretiert waren (eine starke Leistung von Oda Pretzschner), aber auch, dass die Figur gezwungenermassen über ein merkwürdig zwitterhaftes Sprachrohr mehrerer Charaktere nicht hinauskam.

Den starken Frauen im Textbuch standen auch auf der Bühne starke Frauen gegenüber: Sängerinnen wie Chor meisterten die Herausforderungen der anspruchs-vollen Partitur souverän. Ursula Füri-Bernhard als Prothoe setzte den sanften Charakter ihrer Rolle auch stimmlich um, als weiblich-strenge Oberpriesterin überzeugte Rita Ahonen vor allem durch Textverständlichkeit, und Svetlana Ignatovich (Meroe) fiel durch ihre tragende, geschmeidige Stimme auf. Doch eine wahrhaftige «Glanzerscheinung» war Tanja Ariane Baumgartner in der Titelrolle. Baumgartner spielte Penthesilea nicht, sie verkörperte sie. Mit ihrer dunkel leuchtenden Stimme zeichnete sie die Phrasen genauso virtuos wie präzis und band die Musik in ihr Spiel ein. Aber vielleicht am beeindruckendsten war, dass sie die schwierige Figur der Penthesilea zu jedem Zeitpunkt psychologisch fassbar machte.

Starke Bilder und platter Klamauk

Bei so viel Charisma und Bravour wäre es manchem Mann schwer gefallen, mitzuhalten. Beinahe ein Glück also, dass Regisseur Hans Neuenfels die Männer als das «schwache Geschlecht» inszenierte. Dem «Griechenvolk», dessen beeindruckender Wortschatz sich aus «Ho-Ho» und «Ho» zusammensetzte, tat es keinen Abbruch, dass man es als bunt gemischte Schar Halbstarker, Piraten, Cowboys und Safarireisender (Kostüme: Elina Schnizler) auf den Plan treten liess. Doch hatte auch Achilles (Thomas Johannes Mayer) seine Mühe, sich gegen die geballte Frauenpower durchzusetzen, und spätestens da kamen Zweifel auf, ob ein solcher Held tatsächlich in der Lage gewesen wäre, die Amazonenkönigin zu besiegen (oder wurde er erst nachher durch die Macht der Liebe geschwächt?).

Irritierend auch, wie die szenische Realisation beides bot: starke Bilder, wie jenes, als Penthesilea im ersten Liebesrausch spielerisch übermütig den Bogen auf Achilles spannt, um zu sagen: «der junge Nereidensohn ist mein» - und damit das Ende der Tragödie schon andeutet. Aber auch etwas platten Klamauk, so im zentralen Liebesduett, dem lyrischen Höhepunkt des Werkes, das mit gedämpftem Licht, lebensgrossem Papiermachéschimmel und schwarzem Klavier «Céline Dion and Friends» persiflierte. Wollte man so, analog zum Bühnenbild (Gisbert Jäkel), die Brücke zur Antike schlagen?

Die musikalischen Leistungen waren es schliesslich, die den Abend zu einem grossen Ereignis werden liessen. Orchester, Chor und Sänger waren sensibel aufeinander abgestimmt und die Partitur bis ins Detail ausgearbeitet. Venzago, der eine lange und leidenschaftliche Beziehung zu Schoecks Musik pflegt, verstand es, zusammen mit dem Ensemble sowohl dramatisch überbordende Höhepunkte als auch Momente von grosser lyrischer Dichte zu schaffen. Wie Penthesilea entrückt-verwirrt vor den sterblichen Überresten ihres Geliebten kniet, wie sie «jetzt sag ich deutlich dir, wie ich es meinte: Dies, du Geliebter, wars, und weiter nichts» singt, und ihn küsst, das ging unter die Haut.

Unter der Leitung Mario Venzagos ist auch eine CD-Aufnahme von «Penthesilea» erschienen (Pan Classics). Am 8. November kommt der Film «Mein Bruder der Dirigent» von Alberto Venzago in die Kinos.