War das alles nur ein Traum?

Maria Künzli, Berner Zeitung (03.12.2007)

Cendrillon, 01.12.2007, Bern

Im Stadttheater Bern feierte die Märchenoper «Cendrillon» von Jules Massenet Premiere. Die bemerkenswerten gesanglichen Leistungen des Ensembles helfen über einzelne Langatmigkeiten der Inszenierung hinweg.

Aus dem Dunkel des Raumes steigt eine herrschaftliche Treppe spiralenförmig empor. Hinauf bis unter die Decke, das Ende sieht man nicht. So kann man nur erahnen, wo die weissen, von einem üppigen Geländer umrankten Stufen hinführen. In einen schönen Traum? In ein glücklicheres Leben? Oder zurück in die Wirklichkeit?

Die Oper «Cendrillon» (Aschenbrödel) des französischen Komponisten Jules Massenet, die am Samstag im Stadttheater Bern Premiere feierte, spielt mit der Märchengattung und deren Mehrdeutigkeit, mit der gekonnten Vermischung von Traum und Wirklichkeit. Sie lässt ihr Publikum in romantischen Vorstellungen schwelgen, doch stets so, dass ein Zweifel übrig bleibt: Passiert das wirklich oder ist alles nur geträumt? Der Komponist hat sich des berühmten Märchenstoffes von Charles Perrault nicht ohne Ironie angenommen: «Das Stück ist nun zu Ende. Wir haben unser Bestes gegeben, um Euch ins Land der Märchen zu entführen.» – Gefolgt von schallendem Lachen. So endet die Märchenoper.

Am Ende hilft die gute Fee

Die Vorgeschichte hält sich mehr oder weniger an die französische Vorlage: Lucette ist die unglückliche Tochter eines Waschlappens (Pandolfe), der sich nicht gegen Lucettes Stiefmutter, Madame de La Haltière, durchsetzen kann. Deren Töchter Noémie und Dorothée leben in Saus und Braus, während Lucette eher zum Personal denn zur Familie gehört. Die böse Stiefmutter strebt ständig nach Macht und Ruhm – und nach einer geeigneten Partie für ihre zickigen Töchter. Doch den guten Fang machen schliesslich nicht die Schwestern, sondern macht Lucette: Die gute Fee führt sie zum «Prince charmant».

Stilsichere Zurückhaltung

Es ist nicht einfach, diese altbekannte, nicht besonders tiefgründige Handlung und gleichzeitig die feine Ironie des Librettos und die luftige Poesie der Musik zu inszenieren. Kitsch, Langeweile und das Untergehen der Ironie lauern als Gefahren. Johannes Erath versucht es in Bern mit stilsicherer Zurückhaltung – und gewinnt: Die Wendeltreppe (Bühne: Christoph Wagenknecht) ist ständiger Mittelpunkt des Geschehens. Alles ist auf das Wesentliche reduziert, die Kostüme (Pierre Albert) sind schlicht und zweckmässig, nichts ist zu viel. Nichts lenkt ab. Die wenigen zusätzlichen Mittel – rote Schuhe, ein blauer Ball, ein weisser Stuhl – führen wie ein roter Faden durchs Geschehen, tauchen immer wieder auf. Das Ganze gibt der Aufführung eine durchkomponierte Ruhe, die zwar immer wieder wunderschöne Bilder hervorbringt, gerade in den ersten beiden Akten jedoch etwas langatmig daherkommt.

Charismatische Sänger

Getragen wird die Inszenierung von einem ausgeglichenen Ensemble, in dem stimmlich niemand stark abfällt. Die Mezzosopranistin Claude Eichenberger überzeugte von Anfang an mit Charisma und stimmlicher Gestaltungskraft als pubertärer Prinz. Monica Minarelli sang die böse Stiefmutter wunderbar grell und völlig uneitel zur pompös-komödiantischen Musik. Die Sopranistin Hélène Le Corre gibt Lucette mit ihrer mal glockenhellen, mal samtig geerdeten Stimme eine beeindruckende Leuchtkraft, die sich im Verlauf des Abends immer mehr entfaltete. Auch das präzis agierende, souverän gestaltende Berner Symphonie-Orchester vermochte unter der Leitung von Daniel Klajner die eine oder andere Langatmigkeit des ersten Teils zu überbrücken.