Die (Trockeneis-)Nebel des Grauens

Chantal Steiner, VOX SPECTATRITIS (03.12.2007)

Il Trovatore, 02.12.2007, Zürich

Die gestrige Premiere von Giuseppe Verdis „Il Trovatore“ war einmal mehr eine verpasste Chance. Preisfrage: Welche Verdi-Oper wurde in Zürich zuletzt wirklich zufriedenstellend auf die Bühne gebracht? Lang, lang ist’s her!

Der „Troubadour“ mit seinen schmissigen Melodien dürfte immer für ein volles Haus sorgen, so dass sich diese musikalisch-inszenatorische Fehlleistung buchhalterisch wohl nicht rächen wird. Allerdings ist die Entwicklung des Hauses doch langsam besorgniserregend, das ja immerhin von sich behauptet, ein weltweit führendes Haus zu sein. Weniger Premieren, diese jedoch mit mehr Sorgfalt erarbeitet, wären daher angebracht. Aber was soll’s - viele der PremierenbesucherInnen waren begeistert; allein das „Stammpublikum“ machte lange Gesichter.

Verworrene Handlung

Die Handlung des „Troubadour“ ist notorisch wirr und für eine/n Regisseur/in nicht einfach umzusetzen (eine der besten Produktionen dieser Oper sah und hörte ich konzertant in Genf – was vielleicht der einzig gangbare Weg ist). Sie handelt im Grunde von drei Knaben. Zwei davon sind die Söhne des Grafen Luna, der eine Zigeunerin wegen angeblicher Verhexung des jüngsten Sohnes auf den Scheiterhaufen schickt. Deren Tochter Azucena raubt das Knäblein und will es ins Feuer werfen – leider liegt ihr eigenes Kind auch da und sie wirft irrtümlich (!) dieses in die Flammen. Jahre später hat sich der Grafensohn (den Azucena – damit man ihr ihre Ethnie auch gleich ansieht, hat sie in der Zürcher Neuinszenierung lange rote Haare und trägt eine Lederjacke – unter dem Namen Manrico an Sohnes Statt aufgezogen hat) zu einem Rebellen entwickelt. Er verliebt sich in Leonora und bringt ihr als Troubadour jeweils abends ein Ständchen. Dummerweise hat sich sein älterer Bruder, der jetzige Graf Luna (der von der Verwandtschaft nichts weiss), auch in die Frau verguckt. Klassische Dreiecks-Geschichte also. Graf Luna verhaftet Azucena, die ein alter Soldat erkannt hat und erfährt zu seiner Freude, dass sie die Mutter des verhassten Manrico ist. Er lässt sie einkerkern und muss nicht lange warten – Manrico will sie befreien und wird selbst verhaftet. Leonora bietet sich dem Grafen als Preis für die Freilassung Manricos an, nimmt aber Gift, um ihm nicht gehören zu müssen. Selbstverständlich verflucht Manrico die angeblich Treulose, bevor er die Wahrheit erkennt und sich reumütig entschuldigt. Manrico wird zur Hinrichtung gebracht; als das Beil fällt, schleudert Azucena Graf Luna entgegen, dass er soeben seinen Bruder hingerichtet habe und ihre Mutter nun gerächt sei.

Unter den Mafiamänteln nur Opernmuff

Regisseur Giancarlo del Monaco schaffte es, diese Geschichte noch unglaubwürdiger zu gestalten, indem er die erste Szene (in der der Krieger Ferrando die Geschichte der alten Zigeunerin erzählt) laut Übertiteln in „grauer Vorzeit“ ansiedelte, den Rest jedoch „Jahrhunderte später“! Ausser dieser „glorreichen“ Idee ist ihm aber leider nichts in den Sinn gekommen – im Gegenteil, eine Peinlichkeit jagt die andere. Wie man einen Sänger wie Leo Nucci, der ohnehin nicht mehr der Jüngste ist, noch zusätzlich durch seine Kostümierung so unvorteilhaft alt aussehen lassen kann, ist mir schleierhaft – schliesslich soll er den Bruder Manricos und nicht dessen Vater verkörpern. Von Personenführung konnte keine Rede sein (bis auf den „Zigeunerchor“, der aber unfreiwillig lächerlich wirkte, da die Aktion mit dem gesungenen Text nicht zusammenpasste – und das konnte man dank der Übertitel wunderbar nachverfolgen). Wie kam del Monaco zudem auf die Idee, Nucci à la Gerhard Schröder am Zaun des Klosters hochklettern und daran rütteln zu lassen (was natürlich für unfreiwillige Heiterkeit sorgte), als Manrico und Leonora im Kloster wieder zu einander finden? Wieso trägt Leonora während der ganzen Zeit, die sie mit Manrico verbringt, immer ein und dasselbe rote Kleid (selbst unter der Kutte, als sie auf dem Weg ist, ihr Leben Gott zu weihen, und vor der geplanten Hochzeit)? Wieso kann Azucena im Stehen schlafen? Wie kann man einen extrem körperlichen Sänger wie Alvarez während der ganzen Schlussszene anketten? Warum qualmt unaufhörlich künstlicher Nebel über die Bühne, selbst in einer so innigen Szene wie Leonoras zweiter Arie (und das erst noch sehr geräuschvoll)? Fragen über Fragen – leider sind es die falschen! Diese „Inszenierung“ regt zwar zum Nachdenken an, aber nur darüber, wie man einen solchen Dilettanten wie del Monaco immer wieder ans Haus berufen kann. Harte Worte, gewiss; aber dies ist nicht die erste Inszenierung, die del Monaco „verbockt“. Dem Sachverstand des Zürcher Publikums, das den Regisseur am Ende ungewöhnlich kräftig ausbuhte, sei an dieser Stelle ein Kränzchen gewunden.

Musikalisch blieben Wünsche offen

Um eine gute Aufführung des „Troubadour“ zustande zu bringen, braucht es laut einer alten Opernweisheit „nur die vier besten Sänger der Welt“. Von diesem Qualitätsanspruch war das Opernhaus gestern meilenweit entfernt. Man hätte sich ja auch schon mit den vier zweitbesten begnügt… Dem Anspruch am ehesten gerecht wurde Luciana d’Intino als Azucena. Ihre Stimme verfügt über das nötige Volumen und die Differenziertheit für diese Rolle, sie verkörpert die von der Regie offenbar gewollte „Rockerbraut“ ganz passabel. Beeindruckend sind ihre Bruststimme und ihre hohe Lage; in der Mittellage klingt sie leider bisweilen etwas dünn. Auch Marcelo Alvarez als Manrico vermochte das Publikum für sich einzunehmen. Er besitzt ein angenehmes, farbenreiches, warmes Timbre mit schöner „Träne“ und er meisterte die Partie sicher. Trotzdem beschleicht mich das Gefühl, dass er sich mit dieser Rollenwahl auf die Dauer keinen grossen Gefallen tut. Musikalisch fragwürdig war seine Stretta „Di quella pira“, die – wie alle Cabaletten an diesem Abend – ohne Wiederholung gesungen wurde, und dies auch noch so, dass er sich vor dem hohen C (das meiner Ansicht nach keines war) mit dem Rücken zum Publikum „ausruhen“ durfte.

Es ist immer wieder beeindruckend, wie frisch die Stimme von Leo Nucci noch ist. Und dennoch: Aus dem Luna-Alter ist er definitiv raus und von Differenziertheit, Dynamik oder gar Gefühl war an diesem Abend nichts zu spüren. (Fast) alles lag im Mezzoforte bis Forte, was vor allem bei seiner Arie „Il balen del suo sorriso“ extrem störte. Die folgende Cabaletta – wohl die kraftvollste und mitreissendste, die Verdi für Bariton geschrieben hat – verpuffte völlig wirkungslos, und man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Nucci damit schlicht überfordert war. Dem Publikum schien seine Art des Singens – gemessen am Schlussapplaus - jedoch zu gefallen…

Definitiv nicht auf Weltniveau war leider die Leistung von Cristina Gallardo-Domas, die mit der Rolle vollkommen überfordert war. Sie verfügt ganz einfach nicht über die Stimme, um diese dramatische Rolle auszufüllen. Sehr schön waren ihre zweite (lyrische) Arie und das Schlussduett mit Manrico; doch sobald sie dramatisch werden sollte, wurde die Stimme schrill, unsauber und bekam ein Vibrato, das man gemeinhin als „Quintenschaukel“ bezeichnet.

Giuseppe Scorsin als Ferrando begann ebenfalls mit einem sehr starken Vibrato, welches das Schlimmste befürchten liess, fing sich aber dann und bot eine solide Leistung.

Bei Adam Fischer am Pult des Orchesters des Opernhauses (das sich – wie der Chor – wiederum in guter Form präsentierte) hatte man sehr rasch den Eindruck, dass vieles noch sehr ungeprobt klang. Bei fast jeder Cabaletta oder schnelleren Nummer stimmte die Abstimmung zwischen Bühne und Orchester nicht. Er versuchte zwar, schöne Stellen auszuloten und Spannungsbögen aufzubauen; da er jedoch andere Passagen plötzlich wieder extrem langsam nahm (Nachgeben gegenüber Sängerlaunen?), entstand kein harmonisches Gesamtbild. Ein Verdi-Dirigent ist Fischer in keinem Fall.

Fazit: Es gäbe noch viel zu kritisieren; schade! Ich hatte mich wirklich auf den „Troubadour“ gefreut, mag ich doch diese Oper sehr. Aber unter diesen Umständen verzichte ich auf einen erneuten Besuch und höre mir das Werk lieber ab Tonträger an. Doch keine Bange, Herr Pereira! Wie schon weiter oben gesagt, dank Verdis Musik dürfte dieser unsinnigen Produktion trotzdem ein Besuchererfolg beschieden sein, und mehr wollen wir ja nicht - oder?