Vom Bruderzwist zum Bürgerkrieg

Werner Pfister, Zürichsee-Zeitung (04.12.2007)

Il Trovatore, 02.12.2007, Zürich

Opernhaus Zürich Giancarlo del Monaco inszeniert Giuseppe Verdis «Il Trovatore»

Finsteres Mittelalter als romantisches Schauerdrama, beides in die Jetztzeit versetzt - diese Inszenierung vermag dem oft gescholtenen «Trovatore» szenisch kaum überzeugende Seiten abzugewinnen.

Dass ausgerechnet jene Oper, die wegen ihres angeblich hirnrissigen Librettos am meisten getadelt wird, gleichzeitig eine der erfolgreichsten in Verdis Gesamtschaffen ist, sollte eigentlich zu denken geben. Noch heute zählt sie zu den meistgespielten des Repertoires, ein Publikumsrenner seit der Uraufführung 1853 in Rom. Doch gleichzeitig hagelte es Schelte, vor allem für Verdis Librettisten Salvatore Cammarano, der den «Trovatore» zu verantworten hatte und den ambitioniertere Zeitgenossen damals am liebsten «lebenslänglich auf die Galeeren» hätten verbannen mögen. Wäre es nicht möglich, dass solches Missverständnis eine Folge von falschen Erwartungen war? Nach «Rigoletto» 1851, dessen musikdramatischer Handlungsablauf in fast keinem Moment zum Stillstand kommt, scheint «Il Trovatore» so ziemlich das Gegenteil zu sein. Statt einer kontinuierlich sich fortsetzenden Handlung hat Verdi hier einzelne Bilder komponiert, acht insgesamt, gleichmässig verteilt auf vier Akte, in sich gerahmte Momentaufnahmen, die sich wie in einem Stationendrama folgen.

Die Abfolge der einzelnen Bilder mag in ihrer kruden Holzschnittartigkeit abstossend wirken, doch macht das durchaus Sinn, sind es doch Bilder einer Welt, die mehr und mehr aus den Fugen gerät. Aus Liebe erwächst tödliche Eifersucht; Emotionen eskalieren zu menschenverachtender Brutalität; Hass und Rache, mithin unreflektiert animalische Leidenschaften, bestimmen zusehends das Geschehen; der Bruderzwist eskaliert zum Bürgerkrieg.

Alles in Schwarz

Kein Zweifel, hier zeigt sich das Leben von seiner dunklen Seite. Entsprechend taucht der Ausstatter Peter Sykora seine Bühne in nachtschwarze Finsternis: ein leerer Raum, mal im nasskalten Schneegestöber, mal mit eher kitschigem Bodennebel. Einmal trennt ein schmiedeisernes Gitter die beiden verfeindeten Bruderkriegs-Parteien; ein andermal überspannt eine Eisenbrücke den düsteren Ort des Geschehens. Nur, eigentlich geschieht nichts oder zumindest nicht viel. Weder intimes Kammerspiel zwischen den Protagonisten, noch grosse Bewegung in den Massenszenen. Giancarlo del Monaco belässt es über weite Strecken beim szenischen Arrangement. Das stört weiter nicht, hilft aber auch nicht wirklich weiter.

Nach der ersten Szene, noch im fernen romantischen Mittelalter angesiedelt (warum eigentlich?), herrscht heutiger Alltag vor, die Upper class rund um Graf Luna im schwarzen Massanzug, Regenmantel und Hut, die subversiven Outcasts um Manrico und Azucena, die übrigens in einem urbanen Kanalsystem unter dem Erdboden ihren (geheimen) Aufenthalt haben, in Ledermontur. Alles in Schwarz - mit Ausnahme Leonoras, sie darf ein rotes Kleid tragen, und Azucena hat rot gefärbte Haare. Mache sich jeder seinen eigenen Reim darauf.

Musikalisch ist die Aufführung enttäuschend. Den «Trovatore» zu besetzen sei ganz einfach, sagte einst Caruso, man brauche nur die vier besten Sänger der Welt. In Zürich waren diese definitiv nicht zu Gast. Cristina Gallardo-Domâs tut sich als Leonora allzu schwer; die Stimme wirkt überstrapaziert, im Vibrato nur mit Mühe einigermassen kontrolliert, und im Timbre mit hörbaren Kratzern. Da mag es Luciana d'Intina als Azucena mit ihren vokalen Ressourcen besser haben. Allein, wie sie damit umgeht: stillos und undifferenziert - ein stentorhaftes Fortesingen über jegliche dynamische Vorschriften Verdis hinweg, eine letztlich öde Zurschaustellung von vokalem Material. Das spottet jeglicher Gesangskultur.

Alvarez ist der Lichtblick

Auch Leo Nucci vermag als Luna nicht wirklich zu überzeugen. Seine Stimme klingt knorrig, die Fähigkeit zu weicherer Tongebung («Il balen del suo sorriso») geht ihm ebenso ab wie leisere Töne in der Höhe. Das wirkt alles eindimensional und wird der Figur musikalisch nicht gerecht. Einziger Lichtblick ist Marcelo Alvarez als Manrico, der exemplarisch zeigt, was vokale Linienführung heisst und wie man Phrasen aus dem Legato heraus gestaltet. Kein Wunder, dass seine Arie «Ah sì, ben mio» zum umjubelten Höhepunkt der Aufführung wird und letztlich überzeugender gerät als die anschliessende berühmte Stretta. Aufführungspraktisch, in rein musikalischer Hinsicht, verweist diese Neuinszenierung weit ins letzte Jahrhundert zurück. Nach damals gewohnter Manier werden die Cabalettas nur zur Hälfte gesungen, die zweite Strophe wird jeweils gestrichen; und die grosse Cabaletta der Leonora («Tu vedrai») im letzten Akt fällt ganz dem Rotstift zum Opfer. Vermutlich auf Druck der Sänger hin (statt dass diese mit etwas weniger Druck endlich einmal alle Noten singen würden). Ob Adam Fischer, der Dirigent, dafür wirklich die volle Verantwortung übernehmen mag?

Immerhin, ihm gelingt es, die musikdramatische Grossarchitektur des «Trovatore» zu expressivem Glühen zu bringen. Im Orchestergraben herrscht immer wieder jenes hektische Brio, welches man auf der Bühne so sehr vermisst. Man spürt die innige Beziehung Fischers zu dieser Partitur: Kraftvolle Dramatik, finstere Düsternis sind zwingend realisiert; aber auch die zarten melodischen Begleitfloskeln gestaltet er fern jeder Sentimentalität mit anrührender Empfindungstiefe. Dafür hätte er wohl mehr Applaus verdient, wogegen der Regisseur Buh-Rufe einstecken musste.