Urs Mattenberger, Neue Luzerner Zeitung (11.12.2007)
Millöckers Erfolgsoperette verbindet Intrigenkomödie mit Politsatire. Am Luzerner Theater wird beides zum Patchwork verwischt.
Der Offizier, der als Hitler-Karikatur mit Soldaten in Badehosen und Animiermädchen den Einmarsch in Polen plant, ist ein erstes Alarmsignal: Regisseur Freo Majer spitzt Millöckers Operette «Der Bettelstudent» am Luzerner Theater zur bösen Politsatire zu. Möglich wäre das durchaus. Denn in dieser Erfolgsoperette rächt sich der Oberst der sächsischen Besatzer, Ollendorf, an der polnischen Adelstochter Laura für eine Zurückweisung, indem er sie mit einem zum Adligen ausstaffierten Bettelstudenten verkuppelt. Und dessen Freund Jan nutzt die Intrige seinerseits für ein am Schluss erfolgreiches Komplott zur Befreiung Polens.
Der Christoph in Bern
Aber der erste Eindruck täuscht. Zwar setzt die Inszenierung in Ollendorfs berühmtem Couplet noch eins drauf: Der von Gisela Widmer neu gedichtete Text nimmt den «Christoph» aufs Korn, der in Bern «gern von der Brust der Macht soff». Und witzelt über «dieses Städtchen», in dem sich Linke und Rechte nett «ins Bettchen» legen. Aber ansonsten schrumpft die Politsatire an diesem Abend in sich zusammen wie der aufblasbare Gummipanzer, mit dem die Besatzer am Schluss den Aufstand vergeblich zu verhindern suchen.
Prinzip Selbstbedienung
Die Art, in der hier mit der Politsatire kokettiert wird, ist symptomatisch für den ganzen Abend. Patchworkartig zitiert er ironisch viele Ansätze, die dann nur punktuell bleiben und sich beliebig nach allen Seiten verzetteln. Aktuelle Politsatire, pittoreske Polen-Folklore, sentimentale Operetten-Komödie und High-Society-Parodie, wozu Birgit Künzler die passenden Kostüme schuf: Die Inszenierung funktioniert mit alledem ganz nach dem Prinzip des Selbstbedienungs-Restaurants, zu dem hier der Polen-Markt umfunktioniert wird. Das ist schade, weil es Freo Majer nicht an vielen guten Ideen mangelt, die in der Figurenregie raffiniert und detailfreudig umgesetzt werden.
Immerhin: Der ironische Schwebezustand, den das bewirkt, akzentuiert auch das Gegenteil. Etwa das grosse Liebesduett des Rebellen Jan mit Lauras Schwester Bronislawa. Das ist ein umwerfender Höhepunkt. Aller Ironie zum Trotz: Die Tränen, zu denen das rührt, sind echt.
Genüssliche Überzeichnung
Das Ensemble, das gemessen an gängigen Wiener Operetten-Klischees bunt zusammengewürfelt wirkt, setzt denn auch die Intentionen der Regie locker und pointiert um. Boris Petronje als jovialer Offizierstölpel Ollendorf, Tobias Hächler als so unverschämter wie smarter Revoluzzer Jan, Sumi Kittelberger als draufgängerische Adelsgöre Bronislawa und Tanja-Ariane Baumgartner als etikettenstrenge Gräfin Nowalska spielen die entsprechenden Rollenklischees mit genüsslicher Überzeichnung aus. Simone Stock als Adelsmädchen Laura sowie Michael Heim als Bettelstudent schaffen es, ihren konventionell und brav gehaltenen Figuren zu menschlich-anrührendem Profil zu verhelfen.
Bei alledem ist die Musik ein entscheidendes Plus der Produktion. Das gilt nicht nur für das in den Hauptrollen ansprechend hohe sängerische Niveau, sondern auch für den kernig auftrumpfenden Chor sowie das Luzerner Sinfonieorchester. Unter der Leitung von Lev Vernik reizt es die Qualitäten der Partitur mit viel Sound, Schmiss und Drive nach allen Seiten aus. Wie alles an diesem Abend blieb auch der Schlussapplaus in der Schwebe. Die Pfiffe für das Regieteam wirkten da wie der Auftakt zum rundum begeisterten Applaus für die Aufführenden.