Manrico konspiriert in der Kanalisation

Oliver Schneider, DrehPunktKultur (06.12.2007)

Il Trovatore, 02.12.2007, Zürich

Verdis "Il trovatore" ihre Premiere. Einem Stimmfest - zum Teil - steht eine beliebige Inszenierung gegenüber.

In dunkel grauer Vorzeit, im fernen Mittelalter, erzählt Ferrando bei Schneefall und Bühnennebel die Geschichte der Verbrennung der Mutter Azucenas. Das Ganze gleicht einem Stillleben. Doch es kommt noch schlimmer. Giancarlo del Monaco und sein Ausstatter Peter Sykora lassen die Geschichte über Menschen in emotionalen Extremsituationen im Heute spielen. Sie vergessen aber, dass eine Aktualisierung und die Frage, was uns ein Werk aus einer vergangenen Epoche heute zusagen hat, nichts mit der bloßen Verwendung zeitgenössischer Bilder undKostüme zu tun hat. So bewegen sich die Protagonisten mit den üblichen Operngesten aus der Mottenkiste unter Strassenbogenlampen sowie einer Eisenbrücke und singen in erster Linie das Publikum an.

Der Chor wird zu oratorienhaftem Stillstehen verurteilt. Wenigstens die Statisten dürfen sich im dritten Teil als eine Mischung aus Samurai und Aikido-Kämpfer gemeinsam mit Graf Luna austoben. Ob del Monaco bei dieser Idee die ostasiatischen Kooperationspartner dieser Neuinszenierung im Visier hatte? Fraglich ist aber dann, ob japanische Traditionen in China wirklich goutiert werden.

Hintergrund für die tragischen Schicksale der vier Protagonisten bildet ein Bürgerkrieg. In Zürich stehen sich die Mafia-Schergen Lunas und die Unterweltskämpfer Manricos in Lederanzügen gegenüber. Die letzteren halten ein konspiratives Treffen bezeichnenderweise in einem überdimensionierten Kanalrohr ab. Die in Schwarztönen gehaltene Szenerie und die schwarzen Gestalten sind passend fast durchgehend in fahles Licht getaucht. Nur die roten Haare der leidenschaftlichen Azucena und das unpassend elegante, eng anliegende rote Abendkleid Leonoras setzen an Blut erinnernde Farbtupfer. Das Ganze ist szenisch wahrlich kein Stern am Zürcher Opernhimmel, aber immerhin handelt es sich um eine Inszenierung, die auch in Zukunft hochkarätigen Gästen Auftritte im "italienischen Opernhaus nördlich der Alpen" ermöglichen wird. Und ob ihrer Belanglosigkeit lenkt sie auch nicht vom Wesentlichen an diesem Abend ab, von den Stimmen.

Es braucht vier ausgesuchte Sänger, drei solche stehen in Zürich auf der Bühne. Herausragend ist vor allem der Manrico von Marcelo Álvarez. Der stattliche Argentinier weiss mit phänomenaler Legatokultur zu gefallen, verfügt über das nötige Metall, strahlende Leuchtkraft und eine sichere Höhe, was er nicht nur am Ende seiner Stretta "Di quella pira" beweist. Altmeister Leo Nucci ist noch einmal in der Rolle seines Gegenspielers Graf Luna geschlüpft. Es ist bewundernswert, wie viel Kraft seine bruchlos geführte Stimme heute noch immer verströmt. Nucci gefällt mit variabler und farbenreicher Stimme, die mit einer großen Bühnenautorität gepaart ist. Die zwischen Rachegelüsten und Liebe zu Manrico hin- und hergerissene Azucena wird von Luciana D’Intino mit warmer und durchschlagskräftiger Stimme gesungen. Ihr gelingt es auch als einziger Protagonistin, darstellerisch ihre Rolle wirklich mit Leben zu füllen. Weniger geglückt ist die Besetzung der Leonora mit der Chilenin Christina Gallardo-Domâs, die eigentlich nur im vorletzten Bild mit berückenden Piani zu überzeugen weiss, in denen sie ihre Stimme zu kontrollieren vermag. Tadellos die meisten Comprimarii sowie der von Jürg Hämmerli einstudierte Chor und Zusatzchor.

Effektvoll sind nicht nur die Chöre. Verdi hat eine eingängige musikalische Sprache für die vielen dramatischen Brennpunkte gefunden. Unter Adam Fischers routinierter Leitung spielt das Zürcher Orchester mit mitreissendem Schwung und Gespür für die dramatischen Vorgänge auf der Bühne, wenn auch über weite Strecken zu laut. Da und dort würde man sich auch etwas mehr Feinheit im Umgang mit dem Orchesterpart wünschen.