Sigfried Schibli, Basler Zeitung (17.12.2007)
Die Operette «Das Land des Lächelns» am Theater Basel
Operette als Haupt- und Staaatsaktion: Das Theater Basel frischt eine Wiener Operette mit viel Humor, Aufwand und einer Prise Bitterkeit auf.
Ob Zufall oder nicht: «Das Land des Lächelns» wirkt in vielem wie ein Remake der Mozart-Oper «Die Entführung aus dem Serail», mit welcher die Basler Theaterspielzeit im September begonnen hatte. In der Tat hat die Thematik der Exogamie, der Liebe über Kulturengrenzen hinweg, seit Jahrhunderten nichts an Brisanz verloren. Während in Mozarts Türkenoper ein gnädiger Bassa Selim seine Konstanze nach Europa zurück ziehen lässt, ist es in der Lehár-Operette der chinesische Ministerpräsident Prinz Sou-Chong, der seine Lisa freigibt, nachdem sich für die Wienerin ein Leben unter chinesischen Gesetzen als unmöglich erwies.
So stehts jedenfalls im Libretto, das der Regisseur Peter Konwitschny am Ende entscheidend in eine düstere Richtung umbiegt: In seiner Fassung lässt der Prinz seine Geliebte mitsamt ihrem alten Freund Gustav von zwei Uniformierten umbringen. Da zeigt er sein wahres Gesicht unter der Chinesenmaske, die ihm auf offener Bühne während seiner Auftrittsarie verpasst worden war. Das Happy End ist damit futsch, die Operette endet statt mit jubelndem Potentatenlob in tiefer Nachdenklichkeit.
HERZSTÜCK. Muss man da wieder einmal das Werk gegen seinen Bearbeiter verteidigen? Nein. An Konwitschnys Liebe zum Stück kann kein Zweifel bestehen. Er lässt es in voller Länge mit allen Balletten spielen und reichert es nicht nur durch stummes Personal, sondern auch durch einen Text von Heiner Müller («Herzstück») an. Selten ist Operette so aufwendig inszeniert worden wie von diesem profilierten, in den letzten Jahren immer stärker zu einer philosophischen Heiterkeit findenden Regisseur.
Einem genialen Einfall Konwitschnys verdanken sich weite Teile des zweiten Akts, in dem eine ganze Phalanx von Potentaten vom Neandertaler-Alphatier bis hin zu Stalin und Hitler erst ein munteres Tänzchen aufführen und dann revueartig zur Erheiterung des chinesischen Hofes diverse Techniken der Kriegführung vorführen. Der Zynismus der Mächtigen.
Das ist glänzend gemacht (Kostüme: Michaela Mayer-Michnay) und verfehlt seine Wirkung nicht. Der tiefere Sinn mag darin liegen, dass sich der Chinesenprinz letztlich einreiht in die bunte Schar der über Leichen gehenden Machthaber. Seine Liebesgefühle sind so zerbrechlich wie die wertvolle tausendjährige Buddhafigur, die immer auf der Bühne steht und nach zweieinviertel Stunden durch die Hand Lisas in Brüche geht. «Dein ist mein ganzes Herz» – ja, aber der Prinz hält Lisa im Würgegriff.
LOKALSTÜCK. Die Bühne von Jörg Kossdorff zeigt im ersten Akt viel Wiener Lokalkolorit: Stephansdom, Riesenrad, Fiakerpferd, Opernball und einen katastrophisch herunterkrachenden Kristalllüster. In diese oberflächliche selbstzufriedene Welt mit ihren glitzernden Uniformen und kichernden Elevinnen platzt der chinesische Prinz (mit kräftigem, höhensicherem und einwandfrei geführtem Tenor: Thomas Piffka). Er, mehr lebende Chinoiserie als wirklich Chinese, fällt der liebesbedürftigen und nach etwas Exotischem lechzenden Grafentochter Lisa in die Arme (anfänglich zu verhalten, dann zunehmend an Statur gewinnend: Tatjana Gazdik).
Diese lässt ihren Verehrer Gustav (eine schauspielerische Glanzleistung von Karl-Heinz Brandt) mitsamt seinem Blumenstrauss und seinem Heiratsantrag links liegen, als sie des exotischen Prinzen gewahr wird. Lehár hat der Lisa, dieser ganz vom Begehren durchdrungenen Figur, «chinesische» leere Quinten und pentatonische Motive auf die Stimmbänder geschrieben, um ihre Lebensentscheidung für das Fremde zu illustrieren. Witzig bezieht die Regie den Dirigenten ein, der den beiden sich im Liebestaumel Wälzenden zuruft, er wolle endlich mit dem Orchester weiterspielen.
CHORSTÜCK. Im zweiten und dritten Akt sind wir in China, einem Land mit vielen Rollläden, durch die man in beide Richtungen spähen kann. Wächter im Mao-Look und eifrig hoppelnde Chinagirls stehen unter der Fuchtel des Prinzen-Onkels (Andrew Murphy mit beeindruckender Strenge).
Als «Gustl» im Tennisdress seine Lisa (be-)freien will, verliebt er sich in die Prinzessin Mi (Agata Wilewska mit glockenheller Stimme in mancherlei Verkleidungen), was seinen Befreiungsakt vorübergehend verzögert. So wird der Abschied am Ende einer für beide Paare.
Das Sinfonieorchester Basel spielte unter Kapellmeister Bartholomew Berzonsky in der Ouvertüre noch zu wenig koordiniert, wurde aber zunehmend sicherer und liess ausnehmend schöne Violinsoli hören.
Hendryk Polus hatte den immer wieder auch solistisch hervortretenden Chor ausgezeichnet präpariert. Das Stück wird spürbar auch musikalisch ernst genommen und nicht mit leichter Hand als Unterhaltungsschinken der B-Kategorie heruntergespielt. An Berlins Komischer Oper, wo diese Produktion schon im Juli Premiere hatte, ist «Das Land des Lächelns» ein grosser Erfolg. Das könnte es auch am Theater Basel werden.