Operette als Lehrstück

Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (17.12.2007)

Das Land des Lächelns, 15.12.2007, Basel

Peter Konwitschny kehrt mit Franz Lehárs «Land des Lächelns» nach Basel zurück

Das Theater Basel war 1989 eine der ersten westlichen Bühnen, die den umstrittenen «DDR-Regisseur» Peter Konwitschny zu engagieren wagten – für eine heiss diskutierte «Fidelio»-Inszenierung. Zwei Jahre später folgte «Herzog Blaubarts Burg» von Bartók in Kombination mit Schönbergs «Erwartung». Das war der Beginn der langjährigen Zusammenarbeit Konwitschnys mit dem Dirigenten Ingo Metzmacher. Und schliesslich lernte das Basler Publikum den inzwischen international gefragten Regisseur 1992 anhand von Rossinis «Turco in Italia» auch noch von seiner komödiantischen Seite kennen.

Zitat und Demontage

Nun also Franz Lehárs Operette «Das Land des Lächelns», in Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin, wo letzten Sommer Premiere war (NZZ 3. 7. 07) – wieder ein Werk des «leichten» Genres. Doch zu lachen gibt es hier wenig, zu lächeln erst recht nicht. Zwar präsentiert sich zu Beginn eine Ballgesellschaft in Roben und Galauniformen, wie es sich für eine Wiener Operette gehört, doch die Gesichter verzerren sich alsbald zu Grimassen. Und die Dekorationsstücke, die zwischen Theaterlogen (auf der linken Bühnenseite) und einem Ballsaal (rechts) für historisches Lokalkolorit sorgen, sind blosse Versatzstücke: Schloss Schönbrunn, Stephansdom, Johann-Strauss-Denkmal, Riesenrad, alles en miniature (Bühne: Jörg Kossdorff, Kostüme: Michaela Mayer-Michnay). So wird die schöne alte Operettenwelt zitiert und demontiert in einem.

Schon der erste Auftritt des Prinzen Sou-Chong stellt klar, dass dessen Exotik Verkleidung ist. Zum Chinesen muss er erst geschminkt werden. Wohl ist es das Anders- und Fremdsein, das den Prinzen für die rassige Wiener Gräfin Lisa so attraktiv macht (und vice versa), doch bei Konwitschny geht es nicht um den Konflikt der Kulturen, sondern in einem viel weiteren Sinn um das Fremdsein der Geschlechter, das aus männlichen Machtansprüchen resultiert. Schon im Wiener Palais von Lisas Vater (Georg Martin Bode) lässt der Prinz nebst seinem Charme auch seine Befehlsgewalt spielen. Dann wird er unerwartet zum Ministerpräsidenten seines Landes ernannt und bricht mit Lisa auf in seine Heimat. Seine Residenz dort ist nichts anderes als die kalte, nackte Rückseite des Palais Lichtenfels: ein mit Metall-Lamellen verschlossener zylindrischer Baukörper, über dem das Modell eines chinesischen Palastes schwebt.

Bevor Sou-Chong in seiner neuen Amtswürde erscheint, versammeln sich zu seiner Inauguration Potentaten aller Zeiten und Länder, vom keulenschwingenden Neandertaler bis zu George W. Bush, zu einem Ballett der Diktatoren, die sich mit immer bedrohlicheren Waffen im Zweikampf messen, bis schliesslich die Atombombe explodiert – eine typische, schauerlich groteske Konwitschny-Einlage. Schon da ist das Ende der Geschichte absehbar, obwohl die Regie der Handlung immer wieder unerwartete Wendungen gibt. Sou-Chong fügt sich dem Befehl seines mächtigen Onkels Tschang (Andrew Murphy), Lisa versucht zu fliehen – inzwischen spielt sie die Chinesin und der Prinz den Europäer, während das zweite Liebespaar, der Wiener Leutnant Gustl (Karl-Heinz Brandt) und Sou-Chongs Schwester Mi (Agata Wilewska), sich auf Eskimo-Kleidung einigt. Der Prinz beteuert zwar: «Dein ist mein ganzes Herz», doch eine Schar Flüchtlingsfrauen rezitiert – sehr zerdehnt, allzu kreischend – Heiner Müllers Dramolett vom Herzen, das ein Ziegelstein ist. Ein melancholisches Ende mit tränenreichem Abschied wäre da nicht radikal genug, Sou-Chong tötet nicht nur seine Liebe, sondern Lisa selbst.

Spannungsvolle Balance

Und trotzdem hat das Basler Publikum der Aufführung ungeteilten, begeisterten Beifall gezollt, denn Konwitschny und seinem Ausstatterteam gelingt bei aller Provokation die Gratwanderung zwischen Spiel und Ernst, zwischen Unsinn und Tiefsinn, zwischen realer und Scheinwelt. In dieser spannungsvollen Balance agiert auch das Basler Ensemble, angeführt von Tatjana Gazdik, die schon in Berlin als Lisa brilliert hat, und Thomas Piffka als geschmackssicherem Prinzen. Das Basler Orchester allerdings hält dem Vergleich mit dem der Komischen Oper nicht stand, der Dirigent Bartholomew Berzonsky behandelt die unterschiedlichen Stilebenen von Lehárs Musik allzu summarisch, vernachlässigt die Zwischentöne und koloristischen Finessen und übertönt häufig die Sängerstimmen.