Rettungsversuch für vergessene Rarität

Fritz Schaub, Neue Luzerner Zeitung (24.12.2007)

La Juive, 22.12.2007, Zürich

Dank Startenor Neil Shicoff wurde die lange von den Spielplänen verschwundene Oper «La Juive» wiederbelebt ­ jetzt auch in Zürich.

Auf diesen Moment schienen an der Premiere am Samstag in Zürich alle gewartet zu haben: Im vierten Akt singt der zum Tode verurteilte Jude Eléazar jene berühmt gewordene Arie «Rachel, quand du Seigneur ...». Da kommt zum ersten Mal so etwas wie Vaterliebe zum Ausdruck. Gefühle für das Mädchen, das er einst vor dem Tode gerettet und dann als seine eigene Tochter im jüdischen Glauben aufgezogen hat. Er könnte sie noch bewahren vor dem Flammentod, doch die Rachsucht am Mann (dem jetzigen Kardinal Brogni alias Alfred Muff), der einst seine beiden Söhne zum Tode verurteilte und ihn aus Rom verbannte, ist stärker. Als Rachel (die dramatisch kraftvolle Spanierin Angeles Blancas) am Ende in einen durchsichtigen Ofen geworfen wird, schleudert er dem Kardinal, der endlich wissen will, wo seine angeblich von einem Juden gerettete Tochter ist, die Wahrheit ins Gesicht: im Ofen, wo sie verbrennt.

Brüchiger Charakter

Berühmt ist die an Rachel gerichtete Arie nicht zuletzt, weil der Eléazar die letzte Rolle war, die der legendäre Caruso, bereits todkrank, verkörperte. In dieser Arie gewann Neil Shicoffs Tenor zwar seine imponierend satte Leuchtkraft zurück, aber die Darbietung war doch mehr auf die Demonstration von Stimmpotenz angelegt, als dass sie so wie beim legendären Vorgänger erschüttert hätte. Der Beifallssturm war dem Sänger gleichwohl gewiss. Dabei war der Startenor bei seinem Auftritt am Opernhaus seinem Ruf stimmlich schon vorher einiges schuldig geblieben. Dennoch: Wohl kein Sänger vermag sich heute darstellerisch so sehr mit diesem brüchigen Charakter zu identifizieren wie der Sohn eines New Yorker Kantors. Ihm war auch in erster Linie die Wiederbegegnung mit der lange vergessenen «Grand Opéra» zu verdanken, in der er in einer denkwürdigen, auf CD und DVD festgehaltenen Wiener Produktion 1998 als Eléazar debütiert hatte.

Kardinal als Sympathieträger

Zumindest in dieser von Carlo Rizzi musikalisch ansprechend geleiteten und von David Pountney, Robert Israel (Bühnenbild) und Marie-Jeanne Lecca (Kostüme) betreuten Inszenierung, die das Werk nach über 80 Jahren wieder im Zürcher Opernhaus präsentiert, ist der «Shylock der Opernbühne» allerdings ein höchst unsympathischer Glaubensfanatiker und Fundamentalist. Daher taugte die Verlegung des Schauplatzes vom Konstanz des 15. Jahrhunderts ins Frankreich der Dreyfus-Affäre, als der Antisemitismus zu einem weltweiten Skandal führte, nur bedingt.

Viel sympathischer als Eléazar erscheint dessen immer wieder die Hand zur Versöhnung reichender christlicher Gegenspieler. Dies auch deshalb, weil der Luzerner Bassist Alfred Muff die Rolle voll ausfüllte und in der Begegnung mit Eléazar im vierten Akt (diese Szene löste den zweitgrössten Beifall des Abends aus) eine zu Herzen gehende Wärme verströmte. Wie für alle andern ausser Shicoff war dies für Muff ein Rollendebüt, und seine Darbietung konnte sich neben den weiteren Rollendebütanten wie Malin Hartelius (Eudoxie) und Celso Albelo (Léopold) mehr als hören und sehen lassen.