Frank Gerber, Blick (24.12.2007)
Stell dir vor, es ist Premiere und keiner ruft Buh. - So geschehen im Opernhaus bei «La Juive».
«Nicht gerade weihnächtlich, aber immerhin religiös. Und endlich: der erste Hit der Saison!» Der Abonnent wartet nach der Vorstellung aufs Tram. Seine anonyme, aber laute Einschätzung trifft ins Schwarze.
Doch die wenigsten Premierenbesucher fahren Tram. Auf dem Parkplatz stehen die Jaguare und an der Garderobe hängen die Nerze. Eine Opernpremiere ist immer auch eine gesellschaftliche Demonstration des Kontostands.
Das passt bestens zu «La Juive» von Jacques Fromental Halévy (1799-1862). Das Werk von 1835 ist das Paradebeispiel einer Grand opéra. Diese Gattung wird extra erfunden für die Neureichen. Vorher geht nur der Adel in die Oper, doch jetzt kommen die neuen Grossbürger. Und die haben schliesslich gearbeitet für ihr Geld, also wollen sie auch was haben dafür.
Sie bekommen viel: Vier Stunden Musik. Eine Hand- lung, die für drei Opern ausreichen würde. Fröhliches Ballett und sadistische Gruselszenen. Sowie in diesem speziellen Fall eine geballte Ladung Nachhilfe in religiöser Toleranz.
Der jüdische Goldschmied wird zweimal zum Tode verurteilt. Weil er am Sonntag arbeitet und weil er die Stufen der Kirche betritt, was für Juden verboten ist. Und er wird zweimal begnadigt. - Das alles im ersten Akt. Es folgen vier weitere.
Der ewige Antisemitismus ist der eine Handlungsstrang. Der zweite ist eine Dreiecksliebesgeschichte. Und der dritte führt zum effektvollsten aller Opernschlüsse: Die vermeintliche Tochter des Goldschmieds ist in Wirklichkeit die Tochter des Kardinals. Weil sie einen Christen liebt, bringt er sie auf den Scheiterhaufen. Genau im Moment ihres Todes erfährt er, dass sie seine vermisste Tochter ist. Vorhang.
David Pountney (60) erzählt die verwickelte Geschichte glasklar und inszeniert «La Juive», wie es sein muss: als grosse Show. Mit tollen Kostümen und fantastischen, realistischen Kulissen auf der Drehbühne. Aber kein bisschen verstaubt.
Operngenres unterliegen Modewellen. Solch bombastische grosse Opern werden seit Jahrzehnten kaum mehr gespielt. Hoffentlich leitet diese Zürcher Vorbildproduktion eine Wende ein. Es besteht Suchtgefahr!