"La Juive" und die Dreyfus-Affäre

Oliver Schneider, DrehPunktKultur (24.12.2007)

La Juive, 22.12.2007, Zürich

Fünf großartige Sänger machen aus Halévys Grand Opéra in Zürich ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk.

Zumindest im deutschsprachigen Raum war "La Juive" seit den dreißiger Jahren von den Opernbühnen verschwunden, bis die Staatsoper das Werk 1999 dankenswerterweise wieder ausgrub. Dazumal gab Neil Shicoff sein Rollendebüt als Goldschmied Éléazar. Eine Partie, mit der er seitdem vollkommen eins geworden ist. Schon sein intensives und ausdrucksstarkes Rollenporträt sowie sein einzigartiges stimmliches Engagement adeln schon allein die Zürcher Neuinszenierung von David Pountney.

Ihm zur Seite stehen aber vier nicht minder überzeugende Rollendebütanten. Angeles Blancas verleiht Éléazars vermeintlicher Tochter Rachel ihren dunkel timbrierten, vibratoreichen und warmen Sopran, der nur in der Höhe manchmal etwas rau klingt, was jedoch gut mit dem selbstbewussten Charakter der jungen Frau harmoniert. Ihre Gegenspielerin, die Prinzessin Eudoxie, wird von Malin Hartelius verkörpert. Ein zunächst selbstgefälliges, oberflächliches Luxusgeschöpf, dessen Koloraturen nur so perlen, das aber durchaus auch ernsthaft um den Geliebten Léopold kämpfen kann. Der aus Teneriffa stammende Celso Albelo überzeugte am Premierenabend trotz angesagter Indisposition mit eleganter Phrasierung, Geschmeidigkeit und sicherem Legato. Darstellerisch wirkt er neben den anderen vier Hauptdarstellern allerdings etwas hölzern. Der robust singende Alfred Muff ist schliesslich ein Respekt einflössender Kardinal Brogni.

Den aussergewöhnlichen Singschauspielern und dem von Ernst Raffelsberger gut vorbereiteten Chor würde man allerdings ein inspirierteres Dirigat als das von Carlo Rizzi wünschen. Wenige herausgearbeitete Finessen bleiben die Ausnahme in einer pauschalen Begleit-Motorik. Gegen eine beherztere Kürzung wäre deshalb an diesem überlangen Premierenabend nichts einzuwenden gewesen.

David Pountney hat sich entschieden, die zur Zeit des Konzils von Konstanz angesiedelte Handlung in das von der Dreyfus-Affäre erschütterte Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu verlegen. Dies ist insoweit richtig, als das Werk Grundzüge der französischen Gesellschaft und Geschichte nach der Juli-Revolution von 1830 widerspiegelt: Fremden- und Judenhass, später noch angeheizt durch die Niederlage gegen die Deutschen, den erstarkenden Nationalismus und Militarismus. Die von Robert Israel geschaffene Drehbühne mit einem eleganten Empire-Saal, einem stilisierten Kirchenportal, Éléazars großbürgerlichem Haus und Atelier sowie einer grauen Front für die Hinrichtungsszene schaffen den passenden Rahmen und erlauben rasche Szenenwechsel.

Die Dreyfus-Affäre mag rein zeitlich dem heutigen Zuschauer näher sein als die Epoche des Konstanzer Konzils. Doch bleibt es bei einer historischen Schilderung mit Dreyfus-Karikaturen und -Masken und vor allem einer von einem buckligen Ballettmeister Victor (Christian Rovny) und seiner gestrengen Partnerin Constance (Beate Vollack) exerzierten Ballettstunde, in der Pliés und Grands Jetés schnell einem Kampftraining weichen und in einen gewalttätigen Protestmarsch gegen die "bösen Juden" ausarten (Choreographie: Renato Zanella). Zugegeben, es entstehen eindrückliche Bilder, die am verklärten Bild der guten alten Zeit kratzen. Aber Fremdenfeindlichkeit und auch Antisemitismus sind trotz der Geschichte immer noch so aktuell, dass das Werk eine radikalere Deutung verlangt hätte. So werden vor allem die opulenten Tableaux, die herrlichen Kostüme von Marie-Jeanne Lecca und die intensiven kammerspielartigen Szenen, in denen Éléazar, Rachel, Eudoxie und Brogni ihre inneren und äusseren Konflikte austragen, in Erinnerung bleiben.