«Le Cid»: Ereignis unter tragischen Vorzeichen

Verena Naegele, St. Galler Tagblatt (15.01.2008)

Le Cid, 13.01.2008, Zürich

Sie stand unter keinem guten Stern, die Produktion von Massenets «Le Cid» in Zürich. Vielleicht wurde sie gerade deshalb zu einer Sternstunde; und das trotz des mittelprächtigen Rührstücks.

Zuerst war vergangenen Dezember der Bühnenausstatter Andreas Reinhardt gestorben, und dann trat vor der Premiere Alexander Pereira vor den Vorhang und verkündete, dass José Curas Vater am Nachmittag an einem Hirnschlag verschieden sei, der Startenor aber dennoch singen wolle. Eine geballte Ladung Tragik stand also am Anfang der Aufführung eines Werkes, das inhaltlich und musikalisch eigentlich Kriterien aufweist, um zu floppen.

Da ist zum einen die Geschichte des Cid, der um der Ehre willen seinen Schwiegervater in spe tötet, dadurch seine Liebe aufs Spiel setzt und diese im Krieg zurückgewinnt. Die abgrundtief oberflächliche Handlung bietet dramaturgisch beste Voraussetzungen für effektvolle Szenen mit gekränkten Männern, einer hin und her gerissenen Frau und jubelnden Chören.
Meisterwerk Reinhardts

«Le Cid» ist eine schwierige Mischung, die zwar viele Zwischenformen mit Wechseln in Ausdruck, Tongebung und Dynamik verlangt, in der grossen Geste aber auch einen Hang zum Plakativen offenbart. Die Interpretation von Musik und Regie ist entscheidend, ob Raffinement oder süssliches Parfum im Mittelpunkt stehen. Hier gelingt Andreas Reinhardt in seinem opus ultimum ein wahres Meisterwerk an optischer Raffinesse und bühnenwirksamer Effektivität. Mit seinen lichtdurchfluteten, transparenten Grafik-Prospekten schafft er eine hinreissende Tiefenwirkung, eine zugleich nüchterne und elektrisierende Traumwelt.

Das Optische ist derart bezwingend, dass Regisseur Nicolas Joel sich mit seiner Personenführung praktisch ins gemachte Nest setzen kann, und er ist klug genug, sich vielfach mit traditioneller Operngestik zu begnügen. Wie geschickt dadurch die «Übersüsse» gebrochen wird, zeigte Rodrigos berühmtes Gebet im dritten Akt, das «zum Ineins von belkantischer Kantilene und reinem Jesus-Kitsch» (Ulrich Schreiber) werden könnte, in Zürich aber zum Ereignis wurde. Allerdings auch dank Tenor José Cura, der über sich hinauswuchs, derart ergreifend und ergriffen gestaltete er seinen Part.

Standing Ovations wie selten

Hörbar gezeichnet absolvierte Cura seinen ersten Auftritt, doch dann steigerte er sich in einen emotionsgeladenen Rausch, er fand verhaltene Töne, erlaubte sich auch larmoyante Ausbrüche und fügte sich trotz vokalen Extravaganzen in ein Ensemble ein, das auf höchstem Niveau mitzog. Dirigent Michel Plasson, ein Sachwalter für französische Musik, legte weniger Wert auf technische Genauigkeit denn auf Klangfarbenrausch und Delikatesse.

Isabelle Kabatu als Chimène wagte Ausbrüche am Rande des sopranistischen Abgrundes, um dann wunderbar belkantesk die Duette mit Infantin und Geliebtem zu gestalten. Am Schluss gab es für den gezeichneten Helden Cura und seine Mitstreiter eine minutenlange stehende Ovation – ein seltenes Ereignis in Zürich.