Adlige können kein Französisch

Tobias Gerosa, Der Bund (15.01.2008)

Le Cid, 13.01.2008, Zürich

Das Opernhaus Zürich bringt Jules Massenets Oper «Le Cid» zur Aufführung

Massenets «Le Cid» von 1885 ist eine selten gespielte Grand Opéra. Seit Sonntagabend ergänzt sie nun den französischen Schwerpunkt am Opernhaus Zürich. Stilistisch bleiben Ansprüche offen, doch auch überschattet von einem Todesfall erweist sich das Stück als packend heroisch.

Es ist schon fast ein Ritual, dass Opernhausintendant Alexander Pereira bei den Premieren vor den Vorhang tritt, um eine Indisposition und einen leichten Pfnüsel anzusagen – manchmal wohl auch, um einem Star das Lampenfieber zu nehmen. Am Sonntag, bei der Premiere von Jules Massenets «Le Cid», teilte Pereira aber mit, dass der Vater von José Cura, der die Rolle des Titelhelden innehat, am Morgen vor der Premiere gestorben sei. Cura sang, ja warf sich in die Rolle – ein Ersatz wäre für dieses selten gespielte Stück und die fordernde Partie so kurzfristig kaum zu finden gewesen – und sorgte beim Schlussapplaus für viele Sympathiebekundungen und emotionale Momente.

Knalliger Spezialist

Nur drei Wochen nach Halévys «La Juive» bringt nun das Opernhaus bereits eine weitere französische Grand Opéra auf die Bühne, diesmal gekürzt um die Ballette und mit französischem Leitungsteam. Mit Michel Plasson steht ein ausgewiesener Experte für die französische Oper am Pult des Opernhausorchesters. Er trifft den spezifischen Tonfall, den französischen Stil denn auch deutlich besser als Carlo Rizzi bei der «Juive» und kümmert sich um Farbwerte und Eleganz.

Ist es aber Absicht, dass dabei die typische, schwere und etwas schwüle Tonschönheit weitgehend fehlt? Um nicht in Süsslichkeit abzurutschen, sieht Plassons klangliches Konzept vor, stark auf Dramatik und knallige Eklats im rhythmisch straffen Rahmen zu setzen. Das wirkt packend, rasch wird Plasson aber gerade in den Ensembles und Finali laut. Gut behaupten können sich darin Chor und Extrachor des Opernhauses, die prägnant artikulierend eine erfreuliche Leistung zeigen. Für die Solisten aber wird es bisweilen schwierig.

Stilprobleme

Einmal mehr zeigt sich, was die momentan anhebende Renaissance der französischen Oper des 19. Jahrhunderts am dringendsten hervorbringen sollte: die Kenntnis des französischen Gesangsstils. Die Zürcher Besetzung ist gewohnt hochklassig, doch Sprache und Stil bleiben in dieser Inszenierung durchgehend problematisch.

Ob man Massenets «Cid» unter diesen Vorzeichen aufführen soll, kann man sich fragen; immerhin überzeugt die erste Aufführung dieses Stückes in Zürich in ihrer Dramatik.

Davon steckt eine ganze Menge im «Cid». Basierend auf einem spanischen Ritterepos aus dem 11. Jahrhundert, kämpft der junge Rodrigue um die Liebe Chimènes und gegen die Mauren. Doch bevor es im dritten Akt zur religiös untermauerten Schlacht kommt, bei der sich Rodrigue den Ehrentitel «Cid» erkämpft, muss er aber seinen Vater rächen. Der wurde im ersten Akt ausgerechnet von Graf Gormas, dem Vater Chimènes, beleidigt. Es kommt zum Duell, und Rodrigue tötet Gormas. Chimène, hin und her gerissen zwischen ihrer Liebe und dem Wunsch nach Rache, entscheidet sich für Rodrigue und ein (rasant hereinbrechendes) Happy End.

Lob für das Ensemble

Bis auf Rodrigue und Chimène sind die Solisten aus dem Ensemble besetzt. Isabel Rey als Infantin ist eine luxuriöse Nebenfigur, Cheyne Davidson verleiht Chimènes Vater edles Profil. In seiner ersten grossen Rolle gefällt Andreas Hörls weicher und grosser, dunkler Bass – allerdings ist der Sänger für den alten und gebrechlichen Vater Rodrigues klar zu jung. Ein Gewinn ist auch Vladimir Stoyanov mit seinem kernigen Bariton als König.

Isabelle Kabatu als Chimène hört man an, dass sie vor allem mit Puccini und Verdi vertraut ist, zu verstehen ist bei ihr nichts. Sie hat in den ruhigeren Passagen schöne Momente, sucht – mit Dirigent Plasson – die Dramatik, obwohl ihre Stimme hier steif klingt. Ähnlich steht es bei klar besserem Französisch bei José Curas Rodrigue, soweit man ihn unter den aussergewöhnlichen Umständen beurteilen kann, darf und soll. Er kompensiert mit darstellerischer Intensität, was ihm an reiner Stimmtechnik fehlt – zu überhören sind die Registerbrüche und in Einzeltöne zerfallenden hohen Phrasen allerdings kaum mehr.

Doch Cura kann ein Publikum fesseln und die Regie des designierten Intendanten der Pariser Opéra Nationale Nicolas Joel baut stark darauf. Zwar versucht er, das Geschehen auf der Bühne zu reduzieren und zu stilisieren. Vor allem in den ersten beiden Akten gelingt das erfreulich. Mit zunehmender Verwicklung aber schleichen sich immer mehr Standardgesten und -posen ein. Während der Kontrast zu Andreas Reinhardts kühl und kühn geometrischem Bühnenbild (zentralperspektivische blaue Linien im sonst leeren Raum) zu Beginn anregend wirkt, verliert seine Modernität an Plausibilität, wenn sie in der Personenregie nicht aufgenommen wird.

Im Mai bringt das Opernhaus mit Halévys «Clari» bereits die nächste französische Rarität – es gibt dafür noch stilistisches und szenisches Steigerungspotenzial.