Fortissimo für alle bei Jules Massenets «Le Cid» in Zürich

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (15.01.2008)

Le Cid, 13.01.2008, Zürich

Die Grande Opera «Le Cid» von Jules Massenet hat am Sonntag im Zürcher Opernhaus Premiere gefeiert. Mit José Cura und Michel Plasson wurde die Aufführung von zwei Klassik-Stars geprägt.

Gleich doppelt vom Tod - vom realen Tod - überschattet, war die jüngste Produktion des Opernhauses Zürich. José Cura, der argentinische Startenor, der die Rolle des Cid, jenes altspanischen Nationalhelden für die Zürcher Premiere neu einstudiert hatte, verlor am Morgen der Premiere seinen Vater. Dennoch stand er am Sonntagabend auf der Bühne: sängerisch tadellos, mit imposanter Strahlkraft in der Stimme und stilsicherer, bisweilen eigenwilliger, aber immer nachvollziehbarer musikalisch-emotionaler Linienführung. Die in jeder Hinsicht verdienten Standing Ovations waren ihm am Ende sicher.

Bereits an Weihnachten war der Bühnen- und Kostümbildner Andreas Reinhardt gestorben. Seine Ideen wurden vom Team umgesetzt, und sie drückten der Produktion ihren Stempel auf: Geometrische Linien, zentriert auf ein Fenster als Fluchtpunkt weit hinter der Bühne, in welchem dann der heilige St. Jakob dem zweifelnden Helden erscheint und ihm den Sieg über die Mauren voraussagt. Dazu hat Reinhardt mit verschiebbaren Wänden Bühnenstrukturen geschaffen, die etwas zu oft hin- und hergeschoben werden. Das einzige konkrete Zitat neben den Kostümen, die munter durch Spaniens Kulturgeschichte zappen, ist das Löwenbecken aus der Alhambra, das am Ende als Chiffre für den Sieg der Christen im Thronsaal steht.

Eine Frage der Ehre

Tote gibt es auch in Massenets Oper «Le Cid», die er ganz nah an der gleichnamigen Tragikomödie von Pierre Corneille von 1636 hielt. Im Duell kommt durch die Hand Rodrigues, der Titelfigur, die später von den geschlagenen maurischen Feinden den Ehrennamen El Cid (der Herr) erhält, der Graf Gormas ums Leben. Eine Ehrensache, die nur den einen Haken hat, dass dieser Graf der Vater von Rodrigues Geliebter Chimène ist. Sie, genauso auf Ehre bedacht, verlangt öffentlich Rodrigues Tod - obwohl sie ihn immer noch liebt. Es braucht seinen Sieg über die Mauren und noch einiges mehr bis zum Happy End - was untypisch ist für eine Grande Opera, der «Le Cid» trotz ein paar Jahrzehnten Verspätung angehört.

Massenet hat sich nicht darum geschert, als altmodisch zu gelten, sondern hat seine vielseitigen Fähigkeiten virtuos eingesetzt, um die Anforderungen des Genres aufs Prächtigste zu erfüllen: Grosse Chorszenen und tragische Verwicklungen mit intensiven Stimmungsumbrüchen, welche die Hauptfiguren in emotionalen Konflikten vor dem Hintergrund heroischer Ereignisse zeigen. Von der Raffinesse der Musiksprache Massenets, von seinen farbigen Instrumentierungskünsten und seiner Meisterschaft in lyrisch-feinen Seelenporträts ist in dieser Oper allerdings eher wenig zu spüren - wegen Massenet, aber auch wegen Michel Plasson am Pult der Zürcher Inszenierung. Zwar hält der Altmeister der französischen Musik jederzeit des Heft des Handelns in der Hand und die bis hinter und über die Bühne verteilten Orchester-, Chor- und Solistengruppen beisammen. Aber insgesamt gerät ihm dabei alles etwas pauschal, laut, offen, plakativ und ohne Geheimnis und Parfüm. Nur im dritten Akt, der ganz dem Liebespaar gehört, atmen Raffinesse und Delikatesse, französisches Klangfarbenspiel und sängerische Zwischentöne. Sonst gilt: Fortissimo für alle! Einen José Cura bringt das nicht aus dem Konzept, er überstrahlt noch den ganzen Chor und das volle Orchester, wenn es denn sein muss. Aber die beiden Frauen, Isabelle Kabatu als Chimène mit an sich vielversprechender Stimme und einigen Farben, wenn sie denn mal leise sein darf, und Isabel Rey als Infantin versteigen sich zu wenig schönen schrillen Höhen. Ähnlich unter die Räder kommen die beiden tiefen Männerstimmen, weniger Vladimir Stoyanov als König, der noble Baritonqualitäten zeigt, mehr Andreas Hörl als Cids Vater, bei dem das fast permanente Forcieren auf Kosten der Linie und Klangkultur geht.

Fehlende Personenführung

Szenisch lebt die Zürcher Produktion vom Gegensatz zwischen der strengen Geometrie der Bühne und der Verspieltheit der Kostüme. Dass mit Nicolas Joel auch ein Regisseur mitgewirkt hat, wird kaum je spürbar. Eine Personenführung existiert nicht, eine Interpretation des Stücks ebenso wenig. Man steht herum, Chimène darf sich manchmal hinlegen, aber gerade sie hätte einen Regisseur gebraucht, der ihr die arg stereotypen Sängergesten ausgetrieben hätte.