Frank Gerber, Blick (15.01.2008)
«Le Cid» von Jules Massenet am Zürcher Opernhaus.
Am Morgen stirbt sein Vater, am Abend singt José Cura die Hauptrolle. The Show must go on. Erst beim Applaus fliessen die Tränen.
Vor der Premiere tritt Opernhauschef Alexander Pereira vor den Vorhang. Das Publikum möge heute «viel positive Energie» auf die Bühne senden. Der Vater von Startenor José Cura (45) ist an einem Hirnschlag gestorben. Cura singt trotzdem und reist erst am Tag danach nach Argentinien.
«Le Cid» handelt ausgerechnet von Vätern: Der Vater von Rodrigue (José Cura) wird aus einem nichtigen Grund beleidigt. Er ist aber zu alt, um sich zu wehren. Er beauftragt seinen Sohn, die Ehre der Familie wiederherzustellen. Der Sohn ersticht den Beleidiger.
Aber ein Unglück kommt selten allein: Der Widersacher ist ausgerechnet der Vater seiner Braut. Nachdem Rodrigue seinen Schwiegervater in spe getötet hat, haperts mit der Heirat. Die Braut verlangt gar, dass er hingerichtet wird. Er kann sich nur retten, indem er - im Spanien des 11. Jahrhunderts - gegen die Mauren in den Krieg zieht. Sieg und Hochzeit.
Die Story um den spanischen Nationalhelden stammt aus einem mittelalterlichen Heldengedicht. Sie ist Grundlage für das berühmte Schauspiel von Pierre Corneille (1636), für einen Monumentalfilm mit Charleton Heston (1961) und für 27 Opern, die allesamt vom Spielplan verschwunden sind.
Selbst die von Jules Massenet wird kaum gespielt. In Zürich steht sie zum ersten Mal auf dem Programm.
Inhaltlich ist sie träge, unlogisch und wirkt zusammengestückelt. Aber die Musik ist eine Entdeckung wert. Ein Kritiker schreibt über die Uraufführung 1885: «Gehen Sie hin, erfreuen Sie Ihre Ohren an den phantasievollen Melodien.» Das gilt noch heute. Aber schliessen Sie die Augen. Sonst wird Ihnen schwindlig.
Das Einheitsbühnenbild besteht aus unzähligen blauen Linien. Wie man sie während eines langweiligen Telefonats mit dem Kugelschreiber auf einen Block kritzelt. Wer genau in der Mitte des Parketts sitzt, für den treffen sich die Linien im Fluchtpunkt. Wer nicht zentral sitzt, sieht den Effekt nicht, sondern nur ein Gewirr. Und vieles gar nicht, weil die Personen hinter Stellwänden singen. Buhs für die Regie.
Aber beim Tenor kommt die gute Energie an. Fast überkräftig singt er sich durch die grosse Partie. Beim Schlussapplaus erhebt sich das Publikum aus Respekt, und jetzt lässt er den Tränen freien Lauf.