Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (10.09.2006)
Traditionsgemäss gehört die erste Zürcher Opernpremiere dem Stadttheater Winterthur. Im Mozart-Jahr wählte Intendant Alexander Pereira die erste Opera buffa des Komponisten: «La finta semplice».
Die Handlung von Wolfgang Amadeus Mozarts Oper «La finta semplice» geht auf eine Komödie Carlo Goldonis zurück: Zwei eher minderbemittelte (geistig, nicht pekuniär), frauenverachtende Brüder hausen mit ihrer Schwester und der Dienstmagd auf ihrem piemontesischen Landgut und sind so weit zufrieden. Weniger glücklich sind jedoch die Frauen, die sich nach Männern und Heirat sehnen, aber von den beiden Hausherren nie den Segen dafür kriegen würden. Das ändert sich, als Soldaten einquartiert werden und eine «Finta semplice», eine «vorgetäuschte Einfältige» in der Gestalt Rosinas ganz schön Betrieb ins Haus-, Hof- und Triebleben bringt.
Kaiserlicher Auftrag
Mozarts Vater Leopold wollte nach den erfolgreichen Reisen 1768 seinen Sohn mit einer veritablen Oper in der Musik-Weltstadt Wien etablieren. Den Auftrag hatte er von höchster Stelle, vom Kaiser Joseph II. selbst. Unter väterlicher Aufsicht arbeitete der zwölfjährige Mozart an diesem Stück und an den formalen und musikalischen Erfordernissen, die durch die Gattung Opera buffa vorgegeben waren - er arbeitete wirklich, wie die Skizzen und Briefe beweisen, soll keiner behaupten, alles sei ihm einfach in den Schoss gefallen.
Zu einer Aufführung aber kam es nicht: Die Wiener Opernwelt war kein überschaubares Salzburg, der Kaiser konnte sich - trotz einer Intervention Leopolds - auch nicht darum kümmern.
Unverbrauchte Ideen
«Voglio una donna!» hallte es am Freitag Fellini-gleich durchs Winterthurer Theater. Der Regisseur Jens-Daniel Herzog brachte den berühmten Schrei aus «Amarcord» gerade im richtigen Moment an. Auch sonst bewies er ein sehr sensibles Gespür für Timing, unverbrauchte Ideen und Zitate. Die Goldoni-Komödie erhielt unter seinen Händen nichts Klamaukhaftes, nicht vordergründig Lustiges. Zu lachen gab es dennoch immer wieder: über witzige Einfälle, überraschende Wendungen, vor allem auch über die Spiellust des Ensembles, die in einer veritablen Bücherschlacht in der Bibliothek kulminiert.
Vor allem zu lachen hatte man über Reinhard Mayr in der Rolle des geizigen Patriarchen Cassandro. Allein wie er den Betrunkenen mimte, ohne je ins Chargieren zu verfallen: die Duellszene eine einzige Augenweide. Mithalten konnten seine Kollegen nicht, aber auch sie erfüllten die Erwartungen an modernes, aktionsreiches, glaubhaftes Schauspiel. Auch sängerisch war Mayr tadellos, und mit ihm bis auf kleine Abstriche das ganze Ensemble: Die Zürcher Mozart-Ensemble-Kultur bewährte sich auch in dieser Produktion. Etwas blass blieb Shawn Mathey als Hauptmann Fracasso; bei Christiane Kohl als Rosina mischte sich in die Quirligkeit und Agilität ihrer Linien das Bedauern über eine wenig farbenreiche Stimme. Ruben Drole und Boguslaw Bidzinski erfüllten ihre Aufgaben so sicher und überzeugend wie Eva Liebau und Liliana Nikiteanu.
Die leidige Dynamik
Das Winterthurer Orchester leitete Theodor Guschlbauer, eigentlich ein erfahrener Mozart-Dirigent. Dennoch vermochte er zu wenige Akzente zu setzen, brachte zu wenig Abwechslung und Differenzierungen in das Orchesterspiel, das in den Details an sich lebendig war. Vor allem aber wäre - wieder einmal ist es zu beklagen - eine Dynamik wünschbar, die auch Bereiche jenseits eines platten Forte kennt. Mozarts Partitur würde es verdienen: Natürlich ist vieles darin konventionell. Aber Ungeschicklichkeiten oder Halbheiten gibt es nicht. Und da und dort - in einer überraschenden harmonischen Wendung, einer unerwarteten chromatischen Linie, einem atemraubenden Kontrast - kündigt sich doch auch schon der Opernmeister Mozart an.