Doppelte Trauer in der Schlachtenoper

Fritz Schaub, Neue Luzerner Zeitung (16.01.2008)

Le Cid, 13.01.2008, Zürich

«Le Cid» im Opernhaus Zürich.

Am Premierentag starb sein Vater. Trotzdem trat der Tenor José Cura auf und liess seinen eigenen Schmerz mitschwingen: grossartig.

Für José Cura war es an diesem Abend eine doppelte Leiderfahrung, war doch am Premierentag sein Vater plötzlich gestorben. Noch nie hat man den argentinischen Tenor so emotional beteiligt gesehen in einer Rolle wie an diesem Abend als «Le Cid» in Jules Massenets gleichnamiger Oper.

Für Cura hiess es nicht nur: «The show must go on», sondern in seinem Gesang schwang ein Teil seines eigenen Schmerzes mit. Es war schlicht grossartig, wie er dabei die heroischen Register seines ergiebigen Tenors immer wieder auf verhaltene Pianotöne abstimmte.

Liebesgefühle im Zwiespalt

Es geht in Jules Massenets «Le Cid» zwar auch um die Schlachten des spanischen Nationalhelden gegen die Mauren, die seit dem 8. Jahrhundert grosse Teile der Iberischen Halbinsel beherrschten. Doch im Mittelpunkt der Oper steht die ganz persönliche Tragik, in welche Rodrigue (so der Name des Cid) und die von ihm geliebte Grafentochter Chimène geraten. Rodrigue hat im Zweikampf Graf Gormas getötet, da dieser seinen Vaters tief beleidigt hatte. Graf Gormas aber ist der Vater Chimènes.

Die Geliebte des Cid gerät nun in den innern Zwiespalt zwischen Pflicht und Neigung. Einerseits verlangt sie für die Bluttat das Todesurteil, auf der andern Seite lässt die starke Liebe sie doch zögern in ihrer erbarmungslosen Haltung. Am Ende verzeiht sie dem Geliebten, nachdem dieser siegreich aus dem Feldzug zurückgekehrt ist.

Seelendrama statt Grand Opéra

Packend, wie Isabelle Kabatu als Chimène mit ihrem bis in das Altregister reichenden Sopran den inneren Zwiespalt gestaltet, auch wenn sie sich an der Premiere am Sonntag bei den Spitzentönen noch nicht ganz freisang. Auch der Cid ist kein schwertschwingender Haudegen, sondern ein Mensch, der gleichfalls von inneren Nöten gepeinigt wird. Weiss er doch, dass der ihm auferlegte Racheakt keinen andern als den Vater seiner Geliebten trifft.

Wenn Massenet das Drama im Inneren nachzeichnet, erreicht die Musik des «Cid» ihre schönste Ausprägung, wie man sie vom Komponisten des «Werther» und der «Manon» erwartet. Und genau da steigerte das Orchester des Zürcher Opernhauses unter Michel Plassons kundiger Führung sein Niveau, gewann es an Farbe, Sinnlichkeit und Flexibilität hinzu.

Auch die Inszenierung trägt sowohl in der Ausstattung des noch während der Vorbereitung verstorbenen Andreas Reinhardt als auch in der Regie von Nicolas Joël vorab dem seelischen Drama Rechnung. Ein grosser Raum mit geometrisch strengen Linien und weiten Perspektiven deutet zwar das Ausmass einer «Grand Opéra» und des welthistorischen Geschehens an, aber darin agieren und singen in ausdrucksvoll stilisierten Gebärden Menschen aus Fleisch und Blut.