Die kalte Welt des Spassmachers

Hanspeter Renggli, Der Bund (21.01.2008)

Rigoletto, 19.01.2008, Bern

Die Inszenierung von Verdis «Rigoletto» am Stadttheater Bern begeistert und hinterlässt doch Fragen.

Videoinstallationen und eine vielfältige Symbolik charakterisieren die Produktion unter dem Regieteam von Reto Nickler. In der musikalischen Interpretation setzt Srboljub Dinic auf Geradlinigkeit und klare Konturen.

Als in den Fünfzigerjahren der Film als bewegte Kulisse für das Theater entdeckt wurde, galt dies vielerorts als Sensation. Mittlerweile ist durch das wesentlich handlichere Medium Video das bewegte Bühnenbild zum gängigen Illustrationsmittel geworden. Durch die Auseinandersetzung mit der Arbeit von «fettFilm», dem Videokünstler-Duo Momme Hinrichs und Torge Møller, hat sich dem Berner Regisseur Reto Nickler ein neues oder vielmehr ein weiteres Gestaltungsmittel eröffnet.

Verdopplungen

Mit Videoelementen zusätzliche Räume zu öffnen und Gleichzeitiges sichtbar zu machen, ist ein Ziel in der Berner Inszenierung von Verdis «Rigoletto». Da wird die Bühne zunächst von einem vielseitig verformbaren, Leporello-ähnlichen Bühnenelement beherrscht, zugleich Innenraum wie überdimensionierter Bildschirm. Das Gehäuse steht für einen kalt-grauen Gebäudekomplex, wo Menschen missbraucht und gegeneinander ausgespielt werden. Die Videos schaffen dazu Einsichten in tiefe Gänge und unwirklich erscheinende Treppenhäuser. Live-Videos integrieren während Rigolettos Verspottung von Monterone das Publikum ins Geschehen, bedrohlich wirkende Auftritte schaffen Kontraste zur Emotionalität der Musik, und im Quartett des Schlussaktes werden die Bildschirme selber zum Bildelement.

Aber sind alle diese bildlichen Verdopplungen auch notwendig? Sind sie nicht auch ein Indiz, dass zu wenig Vertrauen in die Musik, in die Texte und in die Fähigkeiten der Interpreten besteht? Ist das mehrfach gezeigte Bild von Rigolettos Erinnerung an die intakte Kleinfamilie nicht bloss ein flacher Gag, zumal die Vereinnahmung der Tochter im Vers «il mio universo è in te» eine gewisse Missdeutung in der Regie vermuten lässt? Ganz zu schweigen von den ständigen Rammeleien auf den Bildschirmen, als ob der Charakter des Herzogs mit seinen acht silbergrauen Bunny-Häschen als rücksichtsloser Wüstling nicht bereits zur Genüge kenntlich würde? Vor allem aber die faszinierende Symbolik in Nicklers Regie sowie in Nina Lepilinas Kostümen wie Monterones Podest oder die Flügel des «Todesengels» Sparafucile können durch die Vervielfachung des Optischen kaum ihre Bedeutung entfalten.

Musikalische Prägnanz

Dass der Berner «Rigoletto» wesentlich mehr ist als ein multimediales Spektakel, zeigt sich in den Korrespondenzen zwischen der sichtlichen Kälte des tragischen Schicksals des Spassmachers Rigoletto und der musikalischen Interpretation von Srboljub Dinic. Dinic musiziert mit dem Berner Symphonie-Orchester durchsichtig und akzentuiert, er vermeidet pathetische Ritardandi und Schluchzer. Dass Emotion und Betroffenheit bereits Teil der Musik sind, darauf vertraut auch Davide Damiani als Rigoletto, ein mimisch und gestisch herausragender Interpret und als Sänger ein eindrucksvoller Charakter. Nur schade, dass die Premierenanspannung zu häufigen Intonationsproblemen führte.

Lambroula Maria Pappas (Gilda) gewann sängerisch ständig an Profil. In der Arie «Caro nome» gelang ihr ein hinreissendes Selbstporträt. Weniger um die musikalische Geradlinigkeit von Dinic kümmerte sich David Sotgiu (Herzog), der mit seinem schlanken und höhensicheren Tenor manche «italienische» Manier tüchtig auskostete.

Der unbestrittene Schlager des Werks, die Canzone «La donna è mobile», gerät in Nicklers Regie zur Szenerie eines Popkonzerts. Carlos Esquivel (Sparafucile) brachte seinen prächtigen Bass sehr schön zur Geltung, wenn ihm auch die Höhe leicht unsicher geriet. Eindrucksvoll interpretierte Kristian Paul die heikle Partie des Monterone, dessen Fluch die Oper wie einen roten Faden durchzieht. Qin Du (Maddalena) erfasste das Parlando ihrer Partie trefflich, sollte jedoch nicht Volumen durch Kraftanstrengung zu schaffen versuchen.

Eine echte Herausforderung stellt Verdi an den Chor, denn die Charaktere wechseln ständig. Herrenchor und Extrachor (Leitung Lech-Rudolf Gorywoda und Alexander Martin), im nächtlichen «Zitti, zitti» noch mit Koordinationsproblemen, demonstrierten in der Erzählung von der Entführung von Rigolettos angeblicher Geliebten Präzision und rhythmische Prägnanz.

Die Produktion des neuen Berner «Rigoletto», ein Werk der wilden Leidenschaften, des schwarzen Spotts und der grotesken und bizarren Logik, hat Witz und ist ohne Zweifel hintergründig. Die Inszenierung liefert zu viele verrätselte szenische Details, und es fragt sich, ob die Buhrufe gegen das Regieteam tatsächlich dieses szenisch verwirrliche Allerlei meinten oder einer zweifelhaften Moral entsprungen sind. Musikalisch vermag die Inszenierung zu begeistern.