Das Heimspiel ist missglückt

Oliver Meier, Berner Zeitung (21.01.2008)

Rigoletto, 19.01.2008, Bern

«Rigoletto» im Stadttheater

Regisseur Reto Nickler katapultiert am Stadttheater Bern Verdis Meisteroper «Rigoletto» vom 16.Jahrhundert in die Vergnügungs- und Überwachungsgesellschaft der Gegenwart – und treibt ihm alle Leidenschaft aus.

Es könnte eine bewegende Szene sein: Rigoletto, der bucklige Narr, alleine auf der Bühne mit seiner Tochter, schreiend, die Haare raufend, am Rande der Verzweiflung. Lange hat er sie gehütet wie einen «unbezahlbaren Schatz», hat sie eingeschlossen in seinem Haus, abgeschirmt von der verdorbenen Welt, von den Nachstellungen des Herzogs, der als zynischer Frauenverführer sein Unwesen treibt. Jetzt hat ihn der Fluch des Grafen Monterone ereilt. Sterbend liegt Gilda auf dem Boden, bittet um Vergebung. Rigoletto bricht über ihr zusammen.

So zumindest steht es im Libretto von Verdis Glanzoper aus dem Jahr 1851. Doch an der Aufführung im Stadttheater will sich die Beklemmung nicht recht einstellen. Die legendäre Schlussszene verpufft angesichts der Idee des Regisseurs, die reale Tochter durch einen Fernseher zu ersetzen. So starrt Rigoletto denn auf den Bildschirm, der die Sterbende zeigt, während Gilda meterweit von ihm entfernt ins Leere blickt.

Distanziert inszeniert

Die Schlussszene ist bezeichnend für eine Inszenierung, die spürbar auf die Distanz geht und – oft krampfhaft – bemüht scheint, dem Werk die melodramatische Leidenschaft auszutreiben. Selbst in den innigsten Szenen bleiben die Figuren ohne körperlichen Kontakt, stehen seltsam fern voneinander. Der Berner Regisseur Reto Nickler und das Berliner Videokünstlerduo «fettFilm» verlegen das Geschehen in die Vergnügungs- und Überwachungsgesellschaft der Gegenwart: Das Fest im Palast des Herzogs von Mantua wird zur Samstagsdisco, wo sich die Frauen als «Playboy»-Häschen versammeln; die Arie von der Unbeständigkeit der Frauen («La donna è mobile») zum Showauftritt; Rigolettos Haus zum virtuellen Labyrinth.

Legitime Aktualisierung

Nicklers Aktualisierung ist legitim. Sie greift Aspekte auf, die das Werk durchaus bereithält. Trotzdem fällt es schwer, hinter der Fülle an Ideen ein Konzept zu erkennen. Die Inszenierung schwankt bis zuletzt zwischen Ironie und Ernst. Sie wirkt mitunter derart überhastet, dass die psychologische und sinnliche Qualität der Szenen auf der Strecke zu bleiben droht. So auch am Schluss des ersten Aktes, als Rigoletto mit Entsetzen feststellte, dass er bei der Entführung seiner Tochter Komplize wurde.

Durchzogene Leistung

Durchzogen wie die Inszenierung erscheint auch die Leistung der Akteure. Überragend präsentiert sich die Sopranistin Lambroula Maria Pappes in der Rolle der Gilda, die der Aufführung in gesanglicher und in schauspielerischer Hinsicht den Stempel aufdrückt. Auch der Bariton Davide Damiani überzeugt als Rigoletto über weite Strecken. Eindimensional und stimmlich blass wirkt dagegen David Sotgiu als Herzog von Mantua. Einnehmend präsentiert sich das Berner Sinfonie-Orchester unter der Leitung von Srboljub Dinic – auch wenn man sich in den dramatischen Szenen etwas mehr Schärfe wünschen würde. Das Publikum dankt es ihm – und den Hauptdarstellern – mit kräftigem Applaus, während der Regisseur Unmut zu spüren bekommt: So ausgiebig ist im Stadttheater Bern schon lange nicht mehr gebuht worden.