Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (21.01.2008)
Das Stadttheater Bern brachte am Samstag Verdis «Rigoletto» auf die Bühne. Die Produktion von Reto Nickler und den Bühnen- und Videokünstlern von «fettFilm» war unterhaltsam, aber nicht eigentlich aufregend.
Das Stadttheater Bern ist in der Gegenwart des Regietheaters angekommen, ein Teil des Publikums, der bei der Premiere das Regieteam heftig ausbuhte, noch nicht ganz. Dabei gab es eigentlich wenig, woran sich der Unwille hätte entzünden können, ausser ein paar angedeuteten Sexszenen und einer ganzen Kohorte von Playboy-Bunnies vom AS Ballett, die in Stöckelschuhen und Minikleidchen allzu süss und sexy in den Herzoglichen Gemächern herumtrippelten. Wenn dann dieses Harem seiner eigentlichen Bestimmung zugeführt wird (die Ausdauer des Herzogs erstaunt im Zeitalter von Viagra keinen mehr), dann muss Video helfen.
Videokassette statt Leiche gefunden
Video nimmt den Sängern einen Teil des Schauspielens ab: Dass sie den (bekleideten) Liebesakt nicht live mimen müssen, sondern von Bildschirmen verdeckt, die ihnen die Porno-Posen abnehmen, sich auf ihr Quartett konzentrieren können, ist sicher bequemer, aber in der Oper doch wohl nicht der Weisheit letzter Schluss, sprich: Entspricht nicht den Anforderungen an einen Opernsänger, den wir ja eben singend und schauspielend erleben wollen. Den einen oder anderen Gag bringen die «fettFilm»-Leute Momme Hinrichs und Torge Möller, die in letzter Zeit oft in der Oper gearbeitet haben (etwa in Budapest und an der Wiener Staatsoper, in Hamburg und an der Komischen Oper Berlin), zweifellos in ihr Bühnenbild und die Videos hinein. Rigoletto zum Beispiel findet im Sack nicht Gildas Leiche, sondern - eine Videokassette. So flimmert sie dann tot über den Monitor und singt daneben auf dem Stühlchen vom Sterben. Ob das den technischen Aufwand rechtfertigt, bleibt die Frage. Video in der Oper ist im Moment en vogue, aber solange damit nicht neue Sichtweisen oder neue szenische Elemente etabliert werden können, bleibt es doch eher eine technische Spielerei.
Im neureichen Ambiente
Die Personenführung von Reto Nickler vermeidet geschickt statische Posen, hält das Personal inklusive Chor in Bewegung, zeigt auch diese Clique junger Leute von heute in ihrem neureichen oder altererbten Ambiente ganz nachvollziehbar. Rigoletto ist einer von ihnen, vielleicht der Witzereisser oder auch nur ein wenig der Aussenseiter. Deswegen vielleicht entwickelt sein Grössenrausch im Moment seines vermeintlichen Triumphs keine Kraft. Aber es liegt zum Teil auch am Sänger des Rigoletto, Davide Damiani, der zwar über eine umfangreiche, schön ausgeformte Stimme verfügt und damit auch die Rolle zweifellos ausfüllt. Aus solchen magischen Opernmomenten aber, da macht er zu wenig. Zu sehr gefällt er sich in seinem satt strömenden Bariton, um Reserven und Stilmittel, Farben und auch die letzte Expressivität für solche Momente zu mobilisieren.
Keine solide Leistung
Mag sein, dass auch Srboljub Dinic am Dirigentenpult keine grosse Hilfe war. Er hielt die Fäden des Handelns in der Hand, aber nicht mehr. Eine solide Leistung bot auch das Orchester, aber nicht mehr. Musikalische Magie wollte sich an dieser Premiere nicht einstellen.
Auch nicht bei den anderen Sängern, die sich allesamt ganz gut hielten, aber ebenfalls nicht über sich hinauswachsen konnten: Der Herzog von David Sotgiu mit einem sehr schönen, runden Timbre verstieg sich da und dort in allzu heldische Sphären. Immerhin, er traute sich etwas, er ging Risiken ein, im Gegensatz etwa zu Lambroula Maria Pappas als Gilda. Sie verschenkte die Sterbeszene ein wenig, nicht weil sie sie nicht sängerisch zu formen gewusst hätte, aber weil sie nicht die Spannung und die Anteilnahme aufbrachte, die letztlich den Zuhörer berührt - auch hier wieder, weil auch aus dem Orchestergraben eher pauschale als inspirierende Klänge kamen. Das Ausserordentliche ist nur im Zusammenwirken aller Elemente zu schaffen. So war halt alles an dieser Premiere ohne dieses «ausser»: ordentlich eben.