Rappeln in der Flimmerkiste

, Aargauer Zeitung (21.01.2008)

Rigoletto, 19.01.2008, Bern

Der Schweizer Reto Nickler versucht zusammen mit den Opernvideo-Spezialisten von Fett-Film Verdis «Rigoletto» zu inszenieren - und scheitert.

Der Zorn der Berner war gewaltig: Das sonst nette Publikum buhte das Regieteam und die Videokünstler heftig aus. Zur Verteidigung der Kunst darf aber gesagt werden, dass man sich im Parkett am Samstag an allem nervte: Eine hochelegante Dame in Reihe 6 schimpfte, weil sich vor ihr eine schöne Frau während einer Lichtpause einen Schluck Wasser aus einer PET-Flasche gönnte; als beim verklingenden Applaus ein Zürcher das Theater verlassen wollte, blieben die Dame und ihre Theaterfreunde sitzen, versperrten den Weg und demonstrierten: «Was hier erlaubt ist, bestimmen wir!»

Wir sind auf dem Berner Glatteis und erheben unsere Stimme gefährlicherweise betreffend der Sängerleistung auch gleich noch gegen die Volksmeinung. Das Protagonis-tentrio wurde nämlich so heftig bejubelt wie der Regisseur ausgebuht › etwa Gilda-Interpretin Lambroula Maria Pappas.

Pappas zeigte ausser ein paar sehr hübschen blassen Phrasen und fünf korrekten Spitzentönen nichts: nichts von einer ausgefeilten Kunst der dramatischen Steigerungen, nichts von einer Fähigkeit des Crescendierens und Diminuierens. Ist einer ihrer schwingungsarmen Töne mal gebildet, bleibt er für seine kurze Lebensdauer, was er ist: in der Färbung und in der Lautstärke. Titelheld Davide Damiani (Rigoletto) sang geradlinig, aber auch seiner Stimme fehlt es an Wärme, an Wandelfähigkeit. Der Tenor von David Sotgius (Herzog) ist hingegen wohlklingend. Ein leichtes melancholisches Beben überdeckt jede Phrase mit einem süssen Schauer. Muss Sotgius an Dynamik beziehungsweise Dramatik zu legen, wird die Stimme leider härter. Dirigent Srboljub Dinic entlockte dem Berner Orchester viele Details und zeichnete fein den Sängerlinien entlang.

Deswegen war man aber nicht nach Bern gefahren › muss niemand hinfahren ›, sondern man wollte sehen, wie der Schweizer Regisseur Reto Nickler zusammen mit Fett-Film Verdis «Rigoletto» in Szene setzen würde. Fett-Film sind die beiden Videokünstler Torge Moller und Momme Hinrichs, die dank ihrer Kunst, Opern mit Videos auszustatten, rasend schnell die Karriereleiter aufgestiegen sind. Kein Wunder: Alle Regisseure wollen Videos in ihren Inszenierungen, nur versteht keiner, wie man sie einsetzt. Fett-Film haben begriffen, dass ihre Arbeiten den Gesetzen der Bühne unterworfen sind. Ihre Kunst besteht darin, dass das Video trickreich in die Handlung und die Bühne einbezogen wird und nicht leblos im Hintergrund flimmert.

Ihr Ansatz führt in Bern zu ein paar überraschenden Wendungen. Teilweise wusste man aber nichts anderes, als das geheimnisvoll Verborgene offenzulegen. Zu Rigolettos grosser Arie wird über Bildschirm sichtbar, wie seine Tochter im Hinterzimmer entjungfert wird. Nach dem Akt raucht der Herzog eine Zigarette. Banaler geht es nicht.

Regisseur Nickler war aber offensichtlich bemüht, die Ausdrucksmittel der Video- und der Regiekunst wahrhaft zu vermischen und zeigt «Rigoletto» durch die Fernsehröhre, ohne allerdings einen Beweis zu erbringen, warum das so sein muss. Naturgemäss ist man in der Gegenwart: Partygesellschaft, Bunnys, modische Anzüge › man kennt das.

Spannend an «Rigoletto» ist aber nicht das Gerüst, sondern diese riesenhaften Charaktere › die schwachen Starken, die starken Schwachen. Ihnen spürt Nickler nur ansatzweise nach, einzelne originelle Elemente geben kein Bild: Rigolettos verstorbene Frau taucht über ein Video auf; Sparafucile erscheint als engelhafte Lichtgestalt, die zum Schluss Gilda nicht tötet, sondern hypnotisiert und durch einen Notausgang auf den Weg ins Leben schickt. Folglich stösst Rigoletto im Leichensack nicht auf die Tochter, sondern auf alte Videokassetten. Das Antlitz der toten Tochter ist über den Bildschirm sichtbar. Das Video flimmert hell, erhellt aber wenig.