Verdis «Rigoletto» - klug und ohne Allüren

Anna Kardos, Tages-Anzeiger (21.01.2008)

Rigoletto, 19.01.2008, Bern

Es ist kein zynisch-bissiger, sondern eher ein versteckt leidender Rigoletto, den man in Bern zu sehen bekommt. Die Narrenstaffage trägt er unwillig, die spöttischen Reden schwingt er eher pflichtbewusst denn lustvoll. In der Interpretation der Figur durch Davide Damiani (Bild vorne Mitte) schwang dieser Widerwille mit und zugleich die Entschlossenheit, für das eigene bescheidene Glück zu kämpfen, koste es, was es wolle. Das war nicht nur glaubhaft gespielt, das war genauso grossartig und berührend gesungen.

Doch nicht nur die Titelfigur, das ganze Ensemble überzeugte mit seinen sängerischen Qualitäten fernab aller Opernklischees wie Paradeschmettern oder plakative Effekte. Stimmlich etwas zu leicht machte Lambroula Maria Pappas in der Rolle der Tochter Gilda diesen kleinen Makel mit zarten Farben und sensibler Ausgestaltung ihrer Partien wieder wett. Und schliesslich entsprach diese Zurückhaltung durchaus der Rolle des behüteten Mädchens, das zum ersten Mal liebt.

Gefahren und Ränke bedrohen das vom Hofnarren so sorgsam gehütete Glück: Am Hof laufen Intrigen gegen ihn, Gilda verliebt sich mit dem Herzog ausgerechnet in den grössten Frauenhelden weit und breit, und da ist noch der Fluch eines entehrten Vaters, der dem Narren nicht mehr aus dem Kopf geht und ihn als drohendes Unheil verfolgt. Symbolisiert wurde «la maledizione» durch einen schwarzen Sockel. Als Bild für Rigolettos Angst vor dem Unheil, das ihm drohen mag, wuchs dieser von Akt zu Akt an, um schliesslich einen Grossteil der Bühne einzunehmen. Sprechende Symbolik und eine zusätzliche visuelle Ebene durch Videoprojektionen brachten Nina Lepilina (Kostüme) und das Videokünstler-Duo fettFilm (Momme Hinrichs und Torge Møller) ins Spiel.

Auch in der Inszenierung von Reto Nickler spielte die visuelle Darstellung eine zentrale Rolle. Anstatt auf erzwungene Kohärenz zu setzen, wurde der Stoff in einen Bogen starker Bilder gefasst. Eine Form, die mit den Stärken und Schwächen des fragmentierten Handlungsablaufs in der Oper klug umzugehen wusste. Der Verzicht auf handlungsmässige Durchgestaltung brachte einen weiteren Vorteil mit sich: die Musik durfte eine zentrale Rolle einnehmen. Das Berner Symphonie-Orchester unter der Leitung von Chefdirigent Srboljub Dinic bot eine sehr sorgfältige, bezüglich Balance und Rhythmus ausdifferenzierte Version von Verdis Musik, fast, dass man hie und da etwas opernhaften Flitter und melodramatische Gestik vermisste.

Dennoch musste man auf die schillernden Töne nicht ganz verzichten, denn David Sotgiu als nonchalanter Herzog, der sich ohne böse Absicht täglich in eine andere Frau verliebt, trällerte unforciert sonor und ohne jegliche Abgründe seine Melodien. Gerade mal einen Tag währt des Herzogs Liebe zu Gilda. Der so entehrte und tief getroffene Rigoletto schwört Rache: Mit Hilfe des Auftragsmörders Sparafucile (Carlos Esquivel) soll der Lüstling für die Ehre seiner Tochter mit dem Leben bezahlen. Gilda erfährt jedoch vom Mordplan und opfert sich für den noch immer geliebten Herzog. Zuletzt schrumpft der schwarze Sockel wieder auf seine ursprünglichen Masse zusammen. Auf just jene Grösse, die es braucht, damit die tote Gilda darauf Platz hat.