Männerfantasien in der Kantine

Urs Mattenberger, Neue Luzerner Zeitung (28.01.2008)

Les Contes d'Hoffmann, 26.01.2008, Luzern

Am Samstag hatte die Oper «Les Contes d'Hoffmann» Premiere. Als Gast inszenierte Peter Carp erstmals überhaupt eine Oper.

Jacques Offenbachs Oper um den Dichter Hoffmann bietet mehr als fantastische Romantik. Peter Carp aktualisiert doppelbödig Künstlermythos und Frauenbilder.

Ausgerechnet gegen Schluss, wenn es handfeste Action gibt mitsamt Revolverschuss und einer Leiche, kippt alles ins Irreale. Der Dichter Hoffmann ist, im vierten Akt von Offenbachs Oper «Les Contes d'Hoffmann», auf der Suche nach der grossen Liebe im Bordell gelandet. Die Prostituierte Giulietta hat ihn sich gefügig gemacht und bringt ihn dazu, ihren Zuhälter aus dem Weg zu räumen. Aber wenn der Schuss gefallen, kommt es nicht zum erwarteten Tumult. Nur das Licht verdämmert, die Bordell-Gäste verblassen wie Gespenster und verziehen sich hinter die Tischchen.

Fantastische Geschichten

Wenn Hoffmann selbst sich wieder an seinen angestammten Platz schleppt, seinen Kopf auf die Tischplatte knallen lässt und seinen Rausch ausschläft, ist klar, dass wir wieder ganz am Anfang sind: in der Kantine eines Theaters, in der Peter Carp (Luzerns ehemaliger Schauspielchef) seine erste Opernregie ansiedelt. Da wartet der Dichter zu Beginn auf die Sängerin Stella, seine grosse Liebe. Die fantastischen Geschichten, mit denen er sich und den anwesenden Theaterleuten die Zeit vertreibt, handeln zwar von der Suche des Künstlers nach der grossen Liebe. Aber es sind auch handfeste Männerfantasien um die Frau als Puppe, Heilige und Hure.

Carp holt den Stoff, mit dem Offenbach den Künstlermythos des 19. Jahrhunderts behandelte, zum einen mit dem Spielort nahe an die Gegenwart heran. Das ist an sich wenig aufregend, aber wenn der Lautsprecher«die Damen und Herren des Chors» auf die Bühne bittet, führt das hoffmanneske Spiel mit den Realitätsebenen witzig weiter. Anderseits vergegenwärtigt Carp die Frauenfiguren selbst mit zeitlosen Klischees. Gerade das Spiel mit unterschiedlichen Frauentypen zeigt die Stärke eines optimal zusammengesetzten Opern-Ensembles.

Mechanische Frau

Olympia, bei Hoffmann als Automat Sinnbild einer vom Mann geschaffenen Idealfrau, ist hier nicht nur gefügige Geisha, sondern auch modernes Staridol, wenn sie Playback am Mikrofon singt: Wie Sumi Kittelberger dabei Automatenmechanik und erotische Verführung bis in die gleissenden Koloraturen hinein verbindet, ist grosse Klasse. Die zweite Frau, die vom Vater verhinderte Sängerin Antonia, ist hier nicht nur Künstlerin, sondern unschuldiges Mädchen: Simone Stock spielt sie mit intensiv vibrierendem Sopran als Frau, die an den widersprüchlichen Ansprüchen der Männer um sie herum zerbricht. Und wenn Tanja Ariane Baumgartner als Kurtisane Giulietta mit ihrem sinnlichem Mezzosopran ihre Verführungskünste ausspielt, geraten die Realitäten schon in einer einzigen Figur durcheinander.

Überzeugender Tenor

Der überragende Kim Jason in der Rolle des Dichters Hoffmann zeigt, wie spannend die Wiederbegegnung mit Ensemblesängern jeweils sein kann. Denn selten hat man Kim Jasons strahlkräftigen Tenor mit so viel Schmelz gehört wie in dieser Rolle, die er darstellerisch am überzeugendsten gibt, wo er sie in die Extreme von Verzweiflung, Liebe und Wahnsinn treibt.

Das vielschichtige Werk ist mit alledem zwar nicht so einfach zu konsumieren, wie man es von Offenbachs Operetten her erwarten könnte. Aber welcher Reichtum an Farben und Melodien gerade in diesem Werk steckt, zeigt das Luzerner Sinfonieorchester unter Rick Stengards, das nicht nur beweglich agiert, sondern auch weiten Atem für süffig ausgespielte, orchestrale Tableaus beweist.