Schattenspiele um Schattenspiel

Sibylle Ehrismann, Zürichsee-Zeitung (29.01.2008)

Im Schatten des Maulbeerbaums, 27.01.2008, Zürich

Opernhaus: Uraufführung von Edward Rushtons Auftragsoper «Im Schatten des Maulbeerbaums»

Die Uraufführung der Kinderoper «Im Schatten des Maulbeerbaums» von Edward Rushton und Dagny Gioulami wirkt etwas verloren: zu schwer für Kinder, zu naiv für Erwachsene.

Edward Rushton hat Sinn für Humor, für Ironie und Komik, was ihn zum geborenen Theaterkomponisten macht. Seine Musik ist oft tonal und im Ausdruck plastisch greifbar, sie wagt aber auch liebevolle Zartheit und poetische Schönheit. Ob aber ausgerechnet das künstlerische Gespann Rushton (Musik) und Dagny Gioulami (Libretto) mit seiner skurrilen Theatralik und Hintersinnigkeit für Kinderopern geeignet ist, mag, zumindest nach der Uraufführung am Sonntag, dahingestellt sein.

Die beiden Künstler haben sich für das Märchen «Im Schatten des Maulbeerbaums» entschieden, ein chinesisches Märchen, das sich um die Familie Bim dreht, in deren Garten ein Maulbeerbaum steht. Der Sohn Wim ist einsam und verwöhnt, er langweilt sich im von Mauern umgebenen Garten. Um so erfreuter ist er über den alten Mann, der plötzlich im Schatten des Maulbeerbaums sitzt. Als der Vater ihn von seinem Grundstück vertreiben will, bietet ihm der alte Mann 5000 Franken für den Schatten; der Vater verkauft. Als der Schatten aber wandert und ins Haus fällt, kommt auch der alte Mann ins Haus, was für die Bims immer unangenehmer wird. Die Familie verliert die Nerven und überlässt dem alten Mann freiwillig das Haus - er jedoch zieht genau in diesem Moment weiter.

Abzählverse und Wortspiele

Das Libretto von Rushtons Frau, der Schauspielerin Dagny Gioulami, ist wie gewohnt geistreich, lebt von feinsinnigen Wortpointen und Spielereien, auch Reime spielen in diesem Kinderstück eine wichtige Rolle. Das Bühnenbild von Martin Kinzlmaier ist funktional geschickt darauf abgestimmt und atmosphärisch gut gelungen. Haus und Garten der Bims sind durch die Drehbühne von innen und von aussen bespielbar, alles dreht sich im Kreis, sogar der Schatten. Das eineinhalbstündige Werk ist in den Zeitablauf von 24 Stunden gegliedert - von Mittag bis Mittag. Das ermöglicht dem Komponisten einen sukzessiven Tagesablauf, die Nacht wird für den armen Sohn Wim zum Traum-und Lichterspuk - es ist der interessanteste Teil des Abends.

Und hier offenbart sich ein ähnliches Problem wie bei Rushtons erster Oper «Harley». Rushton und Gioualmi finden nicht über ein Genrebild hinaus, das in sich dreht, die farbenreiche, zuweilen auch recht quirlige Musik weiss das «Theater» auf der Bühne zwar vital zu unterstreichen, doch über das Atmosphärische kommt sie nicht hinaus. Die Figuren bleiben, wie sie sind.

Es findet keine Entwicklung statt, die überdrehte Situationskomik flacht mit der Dauer des Stücks etwas ab. Kommt in dieser Kinder-Parabel noch dazu, dass Rushton vereinfachen muss - das tut seiner sonst vielschichtigeren, aber eher - im guten Sinne des Wortes - «naiven» Musik nicht gut. Dennoch, die Musiker des Opernhausorchesters vermochten dank dem souveränen Dirigat von Ralf Weikert die dunklen Bläserklänge subtil zu mischen, die Violinen tänzelten mühelos in die höchsten Höhen, und das Schlagwerk setzte präzise Akzente.

Überzeugende Ensemble-Leistung

Die Regie von Aglaja Nicolet setzt auf reale Figuren mit Haus und Garten, wobei sie die Sänger schauspielerisch deutlich charakterisiert. Andreas Winkler gibt dabei einen rührenden «Wim», der nicht nur mit schlanker und agiler Stimmführung, sondern auch schauspielerisch beeindruckend einen kindlichen Charme zu versprühen vermag. Dazu die strengen Eltern: Valeriy Murga, der als Vater mit weichem Timbre besticht, und Margaret Chalker, die die Mutter mit herrlicher Komik überzeichnet. Neli und Nilu, die den Wim stets necken, finden in Sen Guo und Rebeca Olvera zwei spielerisch sprühende Sopran-Stimmen, während Morgan Moody als Alter Mann souverän eine warme Ruhe ausstrahlt. Auch Rolf Haunstein vermag seinen kurzen «Besuch»-Auftritt markant zu prägen. Eine insgesamt überzeugende Ensemble-Leistung von besonderer schauspielerischer Qualität.

Projekt aufs Eis gelegt

Was mit dem ambitionierten «Teatro minimo»-Wettbewerb 2000/01 am Opernhaus Zürich begonnen hat, trägt, wie die jüngste Uraufführung zeigt, noch immer Früchte. Der in der Schweiz lebende britische Komponist Edward Rushton hat damals mit seiner ersten Kurzoper «Leinen aus Smyrna» den Auftrag für eine abendfüllende Oper gewonnen. Daraus entstand «Harley», ein hintersinnig surreales «Gemälde» einer Industriellenfamilie in den 1950er Jahren, das bei der Zürcher Uraufführung 2003 trotz dramaturgischer Schwächen überraschend gut aufgenommen wurde. Der «Teatro minimo»-Wettbewerb, der ursprünglich alle drei Jahre zusammen mit der Staatsoper München hätte durchgeführt werden sollen, scheint leider bereits wieder eingeschlafen zu sein. Man behilft sich damit, erneut Edward Rushton einen Auftrag zu erteilen, einem typischen Briten mit unverkrampfter Beziehung zur europäischen Musikgeschichte.