Ein ganz heisser Ofen unter Papis Gesäss

Torbjörn Bergflödt, Aargauer Zeitung (22.11.2005)

Harley, 20.11.2005, Zürich

Grosser Beifall für die Uraufführung von «Harley» von Edward Rushton und Dagny Gioulami. Musik auf hohem Niveau, nicht sperrig, sondern sinnlich.

Was tun Figuren in einem Porträtgemälde im Museum, wenn sie mal nicht posieren müssen vor kunstliebendem und anderem Publikum? Vielleicht lösen sie sich aus der Haltung, in die sie der Maler mit seinem Pinsel gezwungen hat, und sprechen gar aus ihrer Kunstwelt heraus den Museumswärter an. In Dagny Gioulamis Libretto zur Oper «Harley» bittet Lili, die Tochter im repräsentativen Familienporträt eines fiktiven südamerikanischen Malers, den Museumswärter Hector, sie aus dem Bild zu befreien.

Auch Hectors Tochter Emma hegt Freiheitswünsche. Sie möchte gegen den Willen des Vaters mit dem Geld einer grossmütterlichen Erbschaft auf dem Motorrad die Welt bereisen. Schliesslich bekommen beide Töchter ihren Willen. Emma bringt die Papiere und erhält die erbetene Unterschrift. Hector malt die «Industriellenfamilie im Grünen Salon» um zur «Industriellenfamilie im Blauen Salon», wo die Tochter fehlt.

Ein präzise gearbeitetes und von Humor belebtes Libretto. Gioulami hat es geschrieben für ihren Ehemann Edward Rushton, der heute als Komponist und Liedbegleiter in Zürich wirkt. Rushtons Musik ist von illustrierend-kommentierendem Charakter, farbenreich und handwerklich auf hohem Niveau, durchaus nicht sperrig, sondern von einer sinnlich ansprechenden Art, die eigentlich auch Kostverächter neuer Musik nicht vergrätzen sollte.

Regisseur Grischa Asagaroff hat die Folgerichtigkeit der Vorlage nicht durch Eigenmächtigkeiten gestört und trotzdem imaginative Freiräume genutzt. Das Bühnenbild von Martin Kinzlmaier zeigt auf realistische Weise den Saal eines Kleinstadtmuseums, worin das belebte Bild schlüssigerweise zur Bühne auf der Bühne wird. Bettina Latschas Kostüme schaffen stilistisch eine Trennung der Menschen im Bild von den anderen Figuren.

Gabriel Bermudez macht die vielen Nöte von Hector glaubhaft. Irène Friedlis Lili schafft erstaunlich gut die Synthese von Ölbild-Wesen und Realfigur. Rolf Haunstein als Gustavo lässt mit kraftvollem Organ Wutausbrüche von patriarchalischer Wucht erschallen - bis Hector dem (Kind im) Manne eine Harley Davidson unters Gesäss malt, mit der er in den neuen Salon hinüberfahren darf. In den weiteren (Mehrfach-)Rollen überzeugen Stefania Kaluza, Christiane Kohl, Margaret Chalker, Andreas Winkler und Reinhard Mayr. Das Hausorchester unter Nicholas Cleobury spielt den facettenreichen Orchesterpart mit Engagement und gut geputzten Ohren.

«Harley» ist ein Auftragswerk des Opernhauses Zürich als Folge davon, dass Rushton 2001 mit «Leinen aus Smyrna» den Opern-Kompositionswettbewerb «Teatro minimo» - ex aequo mit Arnaldo de Felice - gewonnen hat. Die Oper verhandelt auf amüsante Weise Fragen bis hin zum Verhältnis zwischen Original und Fälschung, Kunst und Leben. Auch wenn es ihr ein wenig an existenzieller Dringlichkeit fehlt, vermag sie als komödiantischer Beitrag zum Musiktheater zu überzeugen.