Die Finta ist ziemlich «semplice»

Tobias Gerosa, Zürcher Oberländer (11.09.2006)

La finta semplice, 08.09.2006, Winterthur

Auch Mozarts geniale Opern kommen nicht einfach so aus dem Nichts, sondern haben ihre Vorläufer. Das Opernhaus liefert im Theater Winterthur einen Beleg: Diese Finta ist ziemlich semplice.
Trotzdem kann die Neuproduktion der ersten Oper Buffa des 13-jährigen Künstlers als gelungen bezeichnet werden. Zwei beschränkte Brüder tun jeder Komödie gut, je mehr man sie foppen kann und sie sich selber blossstellen, umso besser. Getreu diesem alten Strickmuster sind Don Cassandro und Don Polidoro gestrickt - eingefleischte Junggesellen natürlich, die ihre Sehnsucht nach Liebe in Frauenfeindlichkeit sublimieren und leicht verführt werden können, schleust man eine junge, gewitzte Frau ein. Mehr ist da musikalisch nicht.
In Mozarts «Finta semplice»" bietet die Einquartierung von zwei Soldaten im Junggesellenhaus diese Möglichkeit - und liefert auch gleich die Ehegatten für die Schwester und das Dienstmädchen. Mehr ist da (ausser in ein paar Arienwendungen und -Takten, wo Mozarts Entwicklung zu erahnen ist) auch musikalisch nicht, die Konvention wird in regelmässiger Abfolge von Arien und Rezitativen und wenigen Ensembles zu den Aktschlüssen erfüllt.

Frisches, ausgewogenes Ensemble

Wenn das in Winterthur trotzdem Spass macht, liegt das weniger an Theodor Guschlbauers Dirigat, bei dem zur akuraten Solidität deutlich Spritzigkeit und Esprit fehlen, sondern am frischen, ausgewogenen Ensemble und der überzeugenden Regie.
Nach «Tannhäuser», «Pique Dame» und Händels «Orlando» erarbeitete Jens-Daniel Herzog seine vierte Zürcher Produktion und erweist sich auch hier auf schlüpfrigem Komödiengrund wieder als handwerklich genauer und unaufgeregter Regisseur.
Dabei balanciert seine Inszenierung auf schmalem Grat zwischen Bedienen der Klischees einerseits und ihrer Ironisierung und feiner Überzeichnung andererseits.

Liebevoll gezeichnete Brüder

Die beiden Brüder, auf deren Kosten sich andere Figuren und Publikum belustigen, sind durchaus liebevoll gezeichnet. Boguslaw Bidzinski (der als Polidoro mehr als in seinen bisherigen Kleinrollen zeigen kann, wie variabel sein Tenor ist) und Reinhard Mayr (ein fundierter Cassandro) spielen ihr komödiantisches Talent aus, fallen dabei aber nie in die Klamotte.
Auch Ruben Drole als Soldat Simone überzeugt nicht nur durch klar fokussierten Bass-Bariton, sondern auch durch eine kontrollierte Darstellung - hoffentlich bleibt das auch so, wenn der Regisseur abgereist ist!

Ein einziges leises Piano

Nur die grosse Bibliothek, die Mathis Neidhardt als Einheitsraum für alle drei Akte gebaut hat, mag nicht recht zu den Brüdern passen, auch wenn sie mit ihren beiden Etagen das soziale Oben und Unten sinnfällig abbildet.
Vor dem stimmlich wie darstellerisch edlen Gentleman-Offizier Fracasso von Shawn Mathey hätten die Hausherren auch die Bücher nicht so säuberlich abzudecken brauchen.
Wo sein Untergebener Simone dem Dienstmädchen Ninetta direkt an die Wäsche will, hält er sich gegenüber der unsicheren Giacinta zurück. Liliana Nikiteanu nutzt die Gestaltungsmöglichkeiten der Figur optimal und bringt tatsächlich als Einzige Dirigent Theodor Guschlbauer auch einmal zu einem wirklich leisen Piano.

Rollentausch wäre Versuch wert

Bleiben Ninetta und die zur Verführung aufgefahrene «Schwester» Rosina. Es wäre den Versuch wert, die beiden Darstellerinnen Christiane Kohl und Eva Liebau die Rollen tauschen zu lassen. Eva Liebaus Sopran mag eine Spur weniger Glanz haben, verfügt aber über deutlich mehr Farben und Ausdruck, die als Rosina noch besser zur Geltung kämen.