Viel Witz hinter Museumswänden

Sibylle Ehrismann, Zürcher Oberländer (22.11.2005)

Harley, 20.11.2005, Zürich

Am Sonntag hatte im Opernhaus Zürich die Oper «Harley» des in der Schweiz lebenden britischen Komponisten Edward Rushton Uraufführung. Sie wurde in verschiedener Hinsicht zum Erfolg.

Grischa Asagaroff hat wohl noch nie so inspiriert und locker inszeniert wie in diesem Stück. Die Figuren sind sehr genau geführt, und der Wechsel von Bilder-Welt und Galerie-Realität (siehe nebenstehende Box) wird durch die geschickte Gliederung des Bühnenraums (Martin Kinzlmaier) optimal gelöst. Das Bild ist mit einem erleuchteten Rahmen einerseits zweidimensional; nach hinten aber ist der Salon Realität, auf einer schiefen Ebene, von «normalen» Menschen bespielt.

Die Musik von Edward Rushton ist ausgesprochen stimmungsvoll, treffend in der Situationskomik, leichtfüssig rhythmisiert und sparsam gesetzt. Im farbig instrumentierten Orchester mit reichhaltigem Schlagzeug wird jeder Moment ausgekostet und ausgespielt, kammermusikalisch versponnen und bis ins Detail durchgehört. Das Opernhaus-Orchester war gefordert. Es vermochte unter der «gut atmenden» Leitung von Nicholas Cleobury die vielen Fazetten und Farben lustvoll und mit Augenzwinkern rüberzubringen.

Orchester als «Erzähler»
Man kennt diese Vorzüge von Rushtons unverkrampfter Musik, und man war vor allem gespannt darauf, wie er das in einer abendfüllenden Oper umsetzt. Das Resultat: Das Orchester ist ungemein spannend und phantasievoll im «Erzählen» und weiss die Doppelbödigkeit vieler Situationen köstlich auszuformulieren. Die Singstimmen jedoch wirken in ihrer Charakteristik wie gefangen; sie bleiben den ganzen Abend lang zu stark ihrem musikalischen Idiom verhaftet, obwohl sie sich im Bild ja wandeln.

Libretto und Musik aus einem Guss
Doch bei aller Statik, die die Grundsituation im nüchternen Ausstellungsraum mit lauter Bildern mit sich bringt, das Libretto und die Musik sind auf köstliche Art und Weise aufeinander abgestimmt. Das lässt auch die Sängerinnen und Sänger aufleben.

Eine Glanzleistung vollbringt Gabriel Bermúdez als Museumswächter Hector. Schauspielerisch weiss er in seinem langen «Solo» den ganzen nüchternen Raum zu füllen, und sängerisch berührt er mit sympathischer Wärme und vielsagender Phrasierung. Sein Gegenüber ist Lili, die Tochter aus dem Bild. Irène Friedli meistert ihre etwas überlange Partie mit Frische und keckem Temperament. Und sie beherrscht die moderne Stimmführung souverän.

«Familie» gut besetzt
Mit Rolf Haunstein als Vater Gustavo, Margaret Chalker als Mutter Ester und Andreas Winkler als Sohn Gustavito ist die «Familie» besetzt. Bewundernswert, wie sie die langen bewegungslosen Sitz-Partien meistern, um dann im zweiten Akt auch sängerisch so richtig loszulegen. Stefania Kaluza schlüpft zusammen mit Christiane Kohl in die verschiedenen Museums-Besucherinnen, virtuos und echt komisch.

Und schliesslich ist da noch Reinhard Mayr, der zweite Museumswächter Fernand, der mit seiner tiefen, gerne «besoffenen» Stimme einen dramaturgisch wichtigen Gegenpart zu Hector spielt. Das Publikum liess sich auf das neckische surreale Spiel gerne ein, es gab öfter schmunzelnde Lacher, und der Schlussapplaus war überraschend herzlich und intensiv.