Der brave Wim Bim

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (30.01.2008)

Im Schatten des Maulbeerbaums, 27.01.2008, Zürich

Uraufführung von Edward Rushtons «Im Schatten des Maulbeerbaums» im Opernhaus Zürich

An der neuen Kinderoper von Edward Rushton «Im Schatten des Maulbeerbaums» können sich Kinder und Erwachsene freuen.

Die kulturellen Institutionen haben die Notwendigkeit erkannt, neue Publikumsschichten zu erschliessen: In der Tonhalle Zürich ködert man Jugendliche mit DJs nach dem Sinfoniekonzert. Noch Jüngere kommen nicht allein; um die Kinder zu haben, muss man die Eltern überzeugen. Das Opernhaus Zürich spielt Edward Rushtons Kinderoper im Nachmittags- und im Abendprogramm – und nimmt mit «Im Schatten des Maulbeerbaums» Gross und Klein auch gleich noch die Berührungsangst mit zeitgenössischer Musik. Nur die Preise von 198 Franken für einen Platz im Parkett sind nicht gerade familienfreundlich. Und weil nicht angekündigt war, dass Kinder Ermässigung erhalten, war am Sonntag kaum eine Handvoll von ihnen in der Uraufführung. Dafür blieben umso mehr Plätze leer. Schade um den Spass, der nur etwas zu brav geraten ist.

Der verkaufte Schatten

Die Handlung beruht auf einem chinesischen Märchen. Darin verkauft ein geldgieriger Mann einem Wanderer den Schatten eines Baumes, in dem er sitzt. Das rächt sich am Nachmittag, wenn der Schatten ins Haus des Mannes fällt. Dagny Gioulami, die Partnerin des Komponisten und schon bei der letzten Uraufführung in Zürich («Harley» 2005) seine Librettistin, peppt das Märchen mit kalauernden Sprachspielen, kindergerechten Reimen und Zahlenspielen auf, nennt den Geldgierigen Herr Bim (Valery Murga) und gibt ihm ein kleines Häuschen mit Familie (Margaret Chalker). Der zehnjährige Wim Bim funktioniert als kindliche Identifikationsfigur. Andreas Winkler bewältigt geschickt die heikle Aufgabe, ein Kind darzustellen.

Die Einwände des Kindes zum absurden Verkauf hören die Erwachsenen nicht. So gewinnt der Wanderer (Morgan Moody) das Recht, je nach Schattenwurf in oder vor dem Haus zu leben. Familie Bim ist blamiert vor dem Gemeindepräsidenten (Rolf Haunstein), bis der naturmenschhafte Wanderer in einem offenen Schluss freiwillig verzichtet und weiterzieht. Aglaja Nicolet – die Regisseurin gehört wie das ganze Team dieser Uraufführung zum Opernhaus-Ensemble – bringt diese Geschichte gradlinig und mit verspielten Details auf die Drehbühne.

Eine Prise Frechheit

Auch Rushtons Musik bemüht sich um klare Formen und Farben, ohne dabei simpel oder nur illustrierend zu werden. Das gerade 21köpfige Ensemble, von Ralf Weikert umsichtig und Sicherheit gebend geleitet, darf schnauben, mit Ketten rasseln und in Kindertrompeten tröten, aber auch ungeniert swingen oder Kantilenen begleiten. Die Musik ist gerade darin im besten Sinn unterhaltend und zeitgenössisch. Wie der Inszenierung fehlen ihr höchstens ein Schuss Boshaftigkeit und eine Prise Frechheit.