Von den Gefahren des Rauchens und des Grubengrabens

Chantal Steiner, VOX SPECTATRITIS (10.09.2006)

Gianni Schicchi, 09.09.2006, Zürich

Zum 75. Geburtstag von Nello Santi gelangten zwei Einakter zur Premiere:„Il segreto di Susanna“ von Ermanno Wolf-Ferrari sowie „Gianni Schicchi“ von Giacomo Puccini. Ein Rätsel für mich, wie man die beiden Stücke koppeln kann, verbindet sie doch wirklich gar nichts. Vermutlich war es ein Wunsch von Santi oder ein Vehikel für dessen Tochter Adriana Marfisi, die in beiden Stücken erstmals am Opernhaus auftrat.

Das Publikum war entzückt; ich wiederum war seltsam indifferent: ein Abend, der zwar nicht wirklich missraten war, der aber nichts hinterlassen wird, schon gar nicht den Wunsch, die Aufführung nochmals zu besuchen.

„Il segreto di Susanna“ handelt von einer jungvermählten Frau (Adriana Marfisi) und ihrem gräflichen Ehemann (Paolo Rumetz). Susanna raucht heimlich Zigaretten. Der Rauch bleibt in der Wohnung haften und der Ehemann erschnüffelt ihn, fängt jedoch an, seine Frau der Untreue zu verdächtigen, da er meint, ihr Liebhaber hätte in der Wohnung geraucht. Beide reden gekonnt aneinander vorbei, bis sich das Rätsel löst - ein Zwei-Personen-Stück mit einer zusätzlichen stummen Rolle (Timo Schlüssel). Das Ganze wird von Grischa Asagaroff in ein Art-Deco-Ambiente verpackt; allerdings bleibt es dabei. Die beiden Protagonisten vermögen dem Schwank keine schauspielerischen Glanzpunkte zu geben, es bleibt alles bieder, mit stereotypen Operngesten behaftet, polternd bei Rumetz. Es fehlt die Leichtigkeit, das Augenzwinkern. Gesanglich vermochten mich beide nicht zu überzeugen. Rumetz’ eindimensionaler Bass-Bariton hatte in der Höhe sowie in der Intonation mit erheblichen Problemen zu kämpfen und Marfisis Stimme ist alles andere als schön, scheppert schon beträchtlich und vom Auf-Linie-Singen ist sie auch meilenweit entfernt. Viele Zuschauer fragten sich, warum ausgerechnet diese Sängerin aufgeboten wurde.

Die Leistung des Orchesters unter Altmeister Nello Santi hingegen vermochte zu überzeugen. Die Orchestrierung von Wolf-Ferrari ist komplex, das Ganze muss transparent, leicht und quicklebendig erscheinen. Dass ein Komponist des frühen 20. Jahrhunderts so melodiös schreibt, verwundert mich bei Wolf-Ferrari immer wieder. Da es sich bei dem „Segreto di Susanna“ um ein Konversationsstück handelt, war mir die Lautstärke bisweilen zu hoch; man verstand vereinzelt die Sänger nicht mehr (gottlob gab es die Übertitel). Bei aller Wertschätzung für die Leistung, die Nello Santi in all den vielen Jahren erbracht hat, kann ich nicht verstehen, wie undifferenziert er in Zürich vergöttert wird. Wenn ich z.B. im Programmheft lese, dass „das traditionsbewusste Dirigieren in der Nachfolge Arturo Toscaninis, Victor de Sabatas und Wilhelm Furtwänglers als Santis Markenzeichen gelten“ darf, dann frage ich mich ernstlich, ob gewisse Leute wissen, wovon sie schreiben, und die Hurra-Schreie, bevor er auch nur einen Ton zum Besten gegeben hat, nerven mich sehr. Dies nur so en passant. Immerhin hatte Santi gestern massgeblichen Anteil daran, dass „Il segreto di Susanna“ nicht komplett in die Bedeutungslosigkeit abdriftete. Kein Vergleich zu „I quattro rusteghi“, das vor einigen Jahren – mit einer vorzüglichen schauspielerischen und sängerischen Besetzung – in Zürich Premiere hatte!

Bei den ersten Tönen von „Gianni Schicchi“ ging einem auf, warum Puccini als Meister deklariert wird und Wolf-Ferrari nur als interessante Entdeckung. Die Musik ist üppig, sinnlich und spritzig, das Werk eine Satire, die in der Umsetzung durch Asagaroff durchaus mehr Schärfe und Pointiertheit vertragen hätte; denn es ist mehr als nur eine hübsche Komödie, es ist auch eine Gesellschaftskritik. Das Publikum darf aber „sein Hirn an der Garderobe abgeben“ und dem munteren Geschehen zuschauen, ohne sich Gedanken über die Perfidie der Protagonisten zu machen; schade – da wäre mehr drin gewesen! Die gesammelte Verwandtschaft betrauert den Tod des „armen Buoso Donati“, bis sie merken, dass dieser sie enterbt hat. Rinuccio (Fabio Sartori) ist darüber am traurigsten, bekommt er unter diesen Umständen doch nicht die Bewilligung, Lauretta (Andrea Marfisi), die Tochter von Gianni Schicchi (Leo Nucci), zu heiraten. Dieser ist in den Augen der hochwohlgeborenen Verwandtschaft nur ein Zugereister, ein Emporkömmling. Die Verwandtschaft sinnt darüber nach, wie das Testament doch noch zu ihren Gunsten ausfallen könnte. Schicchi, der von Rinuccio in Erwartung eines Geldsegens für die Verwandtschaft herbeigeholt worden war, schlägt dann vor, dass er sich anstelle des toten Buoso in dessen Bett legt und dem Notar sein Testament diktiert. Selbstverständlich versucht fast jeder einzelne aus der Verwandtschaft, Gianni Schicchi zu „überzeugen“ (mittels Bestechung), dass er ihnen das beste Stück der Erbschaft vermache. Gianni Schicchi warnt alle, dass sie sich zum Komplizen der Erbschleicherei machen, denen man im Florenz der damaligen Zeit den Arm abhackte, wenn die Sache aufflog. Es kommt, wie’s kommen muss, die besten Stücke vermacht „Buoso“ seinem „besten Freund Gianni Schicchi“ und die Verwandtschaft kann nichts dagegen tun. Lauretta bekommt ihren Rinuccio, die Verwandtschaft ist zumindest nicht leer ausgegangen und Gianni Schicchi ist der strahlende Sieger, der sie alle aus seinem (denn nun gehört es ja ihm) Haus jagt.

Das Stück steht und fällt mit Leo Nucci, der Schicchi mit Schalk und Durchtriebenheit ausstattet und doch immer sympathisch bleibt. Es ist nicht zu überhören, dass auch Puccinis Sympathie dieser Rolle galt. Auch wenn Nuccis nasal gefärbter Bariton immer etwas gewöhnungsbedürftig ist: Es ist erstaunlich, wie frisch seine Stimme immer noch klingt, wie perfekt er den Anforderungen gerecht wird. Aus den vielen Nebenrollen sticht vor allem Fabio Sartori mit seinem warmen, aufblühenden Tenor hervor. Die Stimme klingt zwar immer wie mit einem Schleier belegt, aber das macht sie doch sehr speziell. Die anderen Rollen waren allesamt rollendeckend ausgefüllt, auch wenn nur noch Cornelia Kallisch als schrullige „Vecchia“ herausstach. Marfisi gestaltete ihr „O mio babbino caro“ besser als befürchtet, ein Freund meinte jedoch dazu nur lakonisch: „Sie singt es so wie die Callas, als die schon abgesungen war.“

Das Orchester unter der routinierten Leitung von Santi spielte mit viel Verve und brachte die Partitur zum Blühen.

Grosser Applaus, meist zufriedene Gesichter: ein hübscher Saisonauftakt, aber (leider) nicht mehr!