Musiktheater der Bilder

Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung (04.02.2008)

L'Orfeo, 01.02.2008, Basel

«L'Orfeo» von Claudio Monteverdi im Theater Basel

Die Toccata, die am 24. Februar 1607 im Palast der Gonzaga zu Mantua erklang, sie kündigte ein neues musikalisches Genre an. «L'Orfeo» von Claudio Monteverdi, dessen Beginn sie bildet, war nicht die erste Oper überhaupt, aber doch das Stück, das als erstes für eine Art musikalischen Theaters steht, das bis heute am Leben ist. Als diese Toccata am 20. Dezember 1975 im Opernhaus Zürich unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt erklang, ging ein Ruck durch die Welt der Musik; eine Tür öffnete sich und gab den Blick frei auf ganz neue Gefilde – die alte Musik war in der Gegenwart angekommen.

Vielfarbiger Klang

Seither haben sich auch für Monteverdis «Orfeo» Interpretationen und klangliche Verwirklichungen in grosser Vielfalt ausgebildet, gibt es manche Form eines freien, phantasievollen Umgangs mit dem Werk. Davon zeugt auch die neue, musikalisch von Andrea Marcon geleitete Produktion im Theater Basel. Den Klang der Zinken, die in der Toccata die Oberstimmen spielen, bringt das fabelhafte Barockorchester La Cetra aus Basel zu prächtigster Wirkung. Überhaupt stellt der in Zusammenarbeit mit der Schola Cantorum Basiliensis entstandene Abend die Farben dieser vierhundert Jahre alten Musik mit aller Lust heraus. Vielfältig die Besetzung des hier so wichtigen Generalbasses mit Gamben und Celli, Cembalo und Orgel, Harfe und Theorben, und was der eine Violone für Basswirkung erzielt, ist ebenso erstaunlich wie die Virtuosität, mit der grössere und kleinere Blockflöten tirilieren.

Indessen zeigt sich einmal mehr, dass das Vokale in der Entwicklung der historischen Aufführungspraxis stets ein wenig im Hintertreffen geblieben ist. Klein ist bis heute die Auswahl an Sängerinnen und Sängern, die sich konsequent und mit Erfolg der alten Techniken bedienen. Am ehesten gilt das hier für die Koreanerin Yeree Suh, die als Musica den Prolog bestimmt und dabei stimmlich wie in der Ausstrahlung brilliert. Sie tut das übrigens nicht auf der Bühne, sondern schon im Foyer das Stadttheaters Basel, wo sich das Publikum um Stehtische drängt und mit Champagner bedient wird.

Ein enormer roter Teppich ist über die Freitreppe gelegt, von allen Seiten glitzert es – eine Hochzeit ist angesagt. Die von Orpheus und Eurydike eben, und sie wird nach dem Wunsch von Jan Bosse, der mit diesem Basler «Orfeo» seine erste Opernregie zeichnet, im Foyer begangen. Der berühmteste Sänger aller Zeiten ist hier ein Star unserer Tage, für den die Kostümbildnerin Kathrin Plath einen roten Anzug mit Silberstiefeln entworfen hat. Seine Angebetete, so wollte es der Bühnenbildner Stéphane Laimé, wird auf einer riesigen Leinwand hoch oben auf der Treppe in Grossaufnahme gezeigt.

Wir wissen, wie es weitergeht: dass die Schlange zubeisst und Eurydike ihr Leben aushaucht, dass Orpheus in den Hades eindringt, dort sein Glück versucht und es verspielt. Das Publikum wechselt dafür nun in den Zuschauerraum, wo es sich einer rabenschwarzen Bühne gegenübersieht. Über das Wändchen zwischen Parkett und Estrade balanciert der Sänger, geführt von der reizenden Svetlana Ignatovich als Hoffnung. Bald steht er dem finsteren Charon (Ismael González) gegenüber, und wenig später begegnet er Pluto und seiner Gattin Proserpina, die nach der Art eines südamerikanischen Diktatorenpaars aufgemacht sind und hinten oben auf dem Balkon singen, aber auf der spiegelnden Rückwand der Bühne wie in Videoübertragung zu sehen sind.

Himmelfahrt per Video

Spätestens hier wird die Diskrepanz zwischen der mächtigen Bildwirkung und dem im Vergleich dazu recht schmächtigen musikalischen Erlebnis bemerkbar. Gekonnt umschmeichelt Rosa Dominguez ihren Gatten, doch was Andrew Murphy als Pluto hören lässt, steht einigermassen im Widerspruch zur markanten physischen Erscheinung. Problematisch auch, dass sich der von Henryk Polus vorbereitete Chor draussen wie drinnen unters Publikum mischt. Da steht oder sitzt man denn neben einem kräftig vibrierenden Tenor, ahnt eine Mittelstimme und bekommt vom Ganzen rein gar nichts mit.

Schwächen zeigen sich auch in der Besetzung der Titelrolle. Der junge Russe Nikolay Borchev ist eine sympathische Erscheinung und ein wendiger Darsteller; die heiklen Auszierungen seiner Partie bewältigt er mit Anstand, aber seine Stimme hat für diese Musik vielleicht doch zu wenig Kern und zu wenig Zeichnung. So stellt sich das Szenische – vielleicht gerade, weil in seiner raumgreifenden Anlage und dem Versuch, den Orpheus-Mythos als Scheitern des Künstlers zu sehen, interessante Ansätze liegen – sehr in den Vordergrund. Bis hin zum Auftritt des goldenen Apollo (glänzend: Karl-Heinz Brandt), der am Ende seinen unglücklichen Sohn auf eine wiederum per Video (Ulrike Lindenmann) vorgeführte, augenzwinkernde Himmelfahrt mitnimmt.