Perlwein und Tränen

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (04.02.2008)

L'Orfeo, 01.02.2008, Basel

Monteverdis Oper «Orfeo» neu am Theater Basel

Jubel auf der Grossen Bühne: Dem Basler Ensemble mit Andrea Marcon als Dirigenten und Jan Bosse als Regisseur ist eine originelle Produktion der Oper von 1607 gelungen.

Der rote Teppich ist ausgerollt, das kahle Theaterfoyer zum glitzernden Showtempel umgerüstet (Stéphane Laimé). Die Musiker nehmen ihre Plätze neben der Prominententreppe ein, das Publikum harrt mit Champagnergläsern des Kommenden. Haben wir uns verirrt und sind statt in die Barockoper in die Fernsehshow «Wetten, dass …?» geraten?

SCHAUSTÜCK. Nein, es hat alles seine Richtigkeit. Wir wohnen einer regietheatermässigen Aufpeppung der ersten bekannten Oper der Geschichte bei. Es ist die Fusion eines im modernen Schauspiel gross gewordenen, für seine kühnen Bildideen bekannten Regisseurs mit einem Dirigenten, der sich der getreuen Aufführung von Barockmusik verschrieben hat. Aber geht das zusammen, Videobilder auf der Bühne und Blockflöten, Zinken und Renaissanceharfe im Orchester?

Es geht, wenn auch nicht ohne Reibung. Die Videos von Ulrike Lindenmann begleiten die Handlung und die Musik mit Witz und Dezenz, die Zeichnung des Sängers Orfeo als heutiger Medien-Gesangsstar im roten Dress erschliesst eine Seite an dieser mythischen Künstlerfigur, und die Entmythologisierung der Figuren La Musica, Ninfa und Speranza funktioniert. Die Deutung des Apollo als güldener Superman, der den zu Tode betrübten Orfeo am Ende in den Himmel entführt (eine köstliche Film-Flugnummer), ist ebenso geglückt wie der Smalltalk von Proserpina und Plutone, die als symbiotisches Pärchen liebevoll karikiert werden.

Man erinnert sich: Die Oper war am Anfang ein Schauspiel mit Gesang. Das ist sie jetzt, 400 Jahre später, wieder. Regisseur Jan Bosse spielt mit den singenden Personen wie mit Schachfiguren. Er verteilt die Bauern – das ist der Chor – im ganzen Raum, sowohl im ersten Teil im Theaterfoyer (unbequem für Leute, die nicht lange stehen können) als auch im zweiten, der dann im Innern des Hades-Theaters spielt.

Plötzlich stehen ein paar Menschen im Publikum auf und fangen an zu singen. Was Chor sein sollte (Einstudierung: Henryk Polus), wird zur wackligen Ansammlung von Einzelstimmen. Da hat die Musik Zugeständnisse an die Regie machen müssen und kommt unter die Räder. Schade.

SHOW. Orfeo dagegen turnt wie ein Ur-Elvis erst über den roten Teppich des Showrooms, in dem von Nymphen und Hirten (auch geistlichen) der Liebesbund gefeiert wird. Sehen und gesehen werden ist hier die Devise, und der Perlwein fliesst in Strömen. Später fliessen nur noch Tränen: in der Unterwelt und auf der thrakischen Ebene, wo Orfeo erst seine Euridice sucht, sie findet und wieder verliert, indem er sich entgegen der Absprache nach ihr umdreht und schliesslich verzweifelt.

Seine Arie «Rosa del Ciel», die er auf Wunsch des Hirtenpublikums singt, hat etwas von einem Hitparaden-Schlager, seine grosse mit Verzweiflungskoloraturen durchsetzte Arie «Possente spirto» beeindruckt durch vokale Virtuosität. Dieser Nikolay Borchev als Orfeo ist eine – nein: die – Glanzbesetzung der Produktion. Stimmlich mit einem in allen Lagen ausgeglichenen Bariton gesegnet, körperlich agil und erst noch gut aussehend – da möchte manche Zuschauerin wohl gerne Euridice sein, auch wenn diese im Stück wenig mehr als zu sterben hat. Agata Wilewska wird der Rolle als Temporärbraut wunderbar gerecht und setzt ihren hellen Sopran gewinnend ein.

STIMMEN. Grosse Gesangspartien gibt es daneben keine, dafür viele kleinere. Karl-Heinz Brandt beweist als Pastore wie als Apollo Wandlungsfähigkeit. Yeree Suh ist eine einnehmende, verführerisch glitzernde Musica-Allegorie. Rita Ahonen verströmt als Unglücksbotin, die in einem biblischen Auftritt den Klimbim-Vorhang zerreisst, angemessene Dramatik. Svetlana Ignatovich ist eine etwas dünnstimmige, aber attraktive Speranza, Heike Heilmann eine anmutige Ninfa.

Rosa Dominguez und Andrew Murphy treten als stimmlich etwas blasses Paar Proserpina und Plutone per Videoschaltung ins Bild. Ismael Gonzalez heisst der bedrohliche Caronte-Bass, dem zwei Bühnen-Accessoires beigegeben sind: ein grob ins Publikum blendender Scheinwerfer und ein schnarrendes, von Hand betriebenes Orgelregal.

Im «Orfeo» geht es nicht zuletzt um Macht oder Ohnmacht der Musik. Folgerichtig ist die Musik in der Basler Inszenierung Teil der Handlung. Nicht nur der Chor, auch die Musikerinnen und Musiker vom prächtigen Barockorchester «La Cetra» werden als Part of the Game szenisch einbezogen. Im zweiten Teil tänzelt Orfeo um die Instrumentalisten herum, als könnten sie ihn mit magischer Kraft aus seinem Elend reissen, und zu seiner Arie «Possente spirto» erheben sich die Solisten als wahre Partner des Leiermanns.

Alte Musik ist eben nicht gleichzusetzen mit keuscher Askese, sondern hat neben allen klanglichen Reizen einen Schauwert, den die Basler «Orfeo»-Produktion brillant offenbart.