Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (04.02.2008)
Claudio Monteverdis «Orfeo» im Theater Basel: Regisseur Jan Bosse sprengt das konventionelle Opernarrangement brillant
Dem Theater Basel gelingt mit Monteverdis «Orfeo» eine bestechende Aufführung aus einem Guss und hoffentlich die verdiente Wende bei den Zuschauerzahlen.
Für Regisseur Jan Bosse ist das wichtigste am Theater das Publikum. «Oper muss an die Leute ran», sagte er auf DRS 2 im Vorfeld der Premiere. Er nimmt diesen Anspruch buchstäblich und im übertragenen Sinne ernst. Das Basler Premierenpublikum hat seine neuartige Inszenierung der «Favola in Musica» bejubelt – und das, obwohl die Mehrheit während Prolog und zwei Akten stehen muss und die Bühne fast unbenutzt bleibt.
Einer von uns
Denn Bosse sprengt in seiner allerersten Opernregie das traditionelle Arrangement und verlegt die Handlung ins Foyer des Theater Basel. Mit dem Publikum feiert der Starsänger Orfeo hier ein Fest. Cüpli für alle ist ebenso einbegriffen wie die Überraschung, wenn sich der Nachbar als Chorsänger oder einer der Hirten erweist. Das Barockorchester Basel La Cetra ist auch akustisch überraschend präsent auf der grossen Treppe postiert. Orfeo ist einer von uns, und so rückt auch sein Schmerz über den Tod seiner Euridice ganz nah.
Das bleibt er auch im zweiten Teil, der ohne Pause im Zuschauerraum spielt. Das Orchester sitzt jetzt in den ersten Reihen, der Graben markiert die Grenze zwischen Menschen- und Unterwelt. Erst als Orfeo sich den Weg in die Unterwelt freigesungen hat – der junge Bariton Nikolay Borchev wirkte am Anfang noch etwas zurückhaltend, brilliert aber hier in den wahnwitzigen Verzierungen –, kann er den Graben überwinden, dreht sich dann aber nach seiner Geliebten um und verliert sie.
Die vielen kleinen Rollen um Orpheus herum sind ganz aus dem Basler Ensemble besetzt. Das sind hörbar keine Spezialisten für alte Musik, es liessen sich einige Einwände machen, doch beim überzeugenden musikalischen und inszenatorischen Gesamtbild bleibt dies peripher.
Zusammen mit Bühnenbildner Stéphan Laimé hat Bosse bestechende und bestechend einfache Ideen für die Umsetzung gefunden. Schwarzlicht betont die Dunkelheit und lässt die weissen Hemden und Sakkos der Geister leuchten, ein blendender Scheinwerfer verwehrt den Blick in Charons Reich, ein grosser Spiegel spiegelt dann unsere Ober- in der Unterwelt. Nur der Videoeinsatz im Hintergrund wirkt bisweilen noch, als traute Bosse der Ausdruckskraft der Musik nicht ganz. Vor allem der Schluss mit der plumpen Erhebung Orpheus' in den Himmel fällt ab. Doch bleibt dies der einzige Einwand gegen die Regie.
Natürlich im Fluss
Monteverdis «recitar cantando» – singen, als würde man sprechen – betont auch Andrea Marcon, der das Orchester von Cembalo und Orgel aus leitet. Die Orientierung am Sprechtempo reduziert zwar die Palette der Tempi, gibt der Musik aber einen natürlichen Fluss.
In nur gerade zwei, dafür hochintensiven Stunden vermag diese Orfeo-Aufführung den Mythos zu aktualisieren. Danach reicht es problemlos noch auf den Zug bis in die Ostschweiz. Diese Basel-Reise lohnt sich.